Hauptversammlung um Mitternacht

Die tur­bu­lente Haupt­ver­samm­lung der Volks­wa­gen AG, die vor­ges­tern am spä­ten Abend noch zu Ende ging, hat die Frage auf­ge­wor­fen: Was gälte wohl um Mit­ter­nacht? Muss dann abge­bro­chen wer­den oder kann man am Fol­ge­tag wei­ter­ma­chen? Das Akti­en­ge­setz gibt dar­auf keine Ant­wort. Es legt fest, dass die Ein­be­ru­fung die Zeit der Haupt­ver­samm­lung” zu ent­hal­ten hat 121 III 1 AktG). Damit ist der Beginn der HV gemeint (Tag, Uhr­zeit), nicht der Zeit­raum. Die Mög­lich­keit der Fort­set­zung am nächs­ten Tag wird also durch die For­mu­lie­rung des Geset­zes nicht aus­ge­schlos­sen. Nach dem Sinn und Zweck ist aller­dings anzu­neh­men, dass nicht eine belie­bige Fort­set­zung der ein­mal begon­ne­nen HV zuläs­sig ist. Die Aktio­näre rich­ten sich auf einen zeit­li­chen Rah­men ein, der grund­sätz­lich nur den in der Ein­be­ru­fung genann­ten Tag erfasst. Steht aller­dings zu erwar­ten, dass die Ver­hand­lun­gen auf der HV sehr pro­blem­be­la­den sind, ent­spricht es der Mit­ver­ant­wor­tung des Aktio­närs, ent­spre­chend zu dis­po­nie­ren. Die Mit­ter­nachts­stunde ist keine abso­lute Zäsur, die zum Abbruch der HV zwingt. Stets ist zu prü­fen, ob die lange Dauer ange­sichts der kon­kre­ten Ver­hält­nisse und der Abwick­lung der Tages­ord­nung noch zumut­bar ist (LG Mün­chen <2007>: 18 Stun­den sind zu viel).

Wenn der Ver­samm­lungs­lei­ter das Fili­bus­tern erlaubt, kann sogar die Beschluss­fas­sung einer HV, die vor Mit­ter­nacht vor fast lee­rer Kulisse been­det wird, anfecht­bar sein. Dass die VW-HV am 22.6. 2016 noch vor Mit­ter­nacht geschlos­sen wer­den konnte, lag an der kon­se­quen­ten Anwen­dung der (auf § 131 II 2 AktG beru­hen­den) Sat­zungs­be­stim­mung: Der Vor­sit­zende der Haupt­ver­samm­lung ist ermäch­tigt, das Rede- und Fra­ge­recht der Aktio­näre vom Beginn der Haupt­ver­samm­lung an zeit­lich ange­mes­sen zu beschrän­ken.” 22 IV 1 Sat­zung der VW AG).

Ein Aspekt der Zumut­bar­keit bei Über­länge” ist die Bereit­stel­lung neu­zeit­li­cher Kom­mu­ni­ka­ti­ons­in­stru­mente. Ist die Fern­teil­nahme im Wege elek­tro­ni­scher Kom­mu­ni­ka­tion” 1182 AktG) mög­lich, wird man anders wer­ten als bei strikt saal­ge­bun­de­ner Prä­senz­teil­nahme. Im Fall der Volks­wa­gen AG fehlte die Option der Fern­teil­nahme. Eine Inter­net­über­tra­gung der Gene­ral­de­batte (§ 118 IV AktG), die weit­hin üblich ist, gab es nicht.

Zur Pro­ble­ma­tik der HV nach Mit­ter­nacht” liegt keine BGH-Ent­schei­dung vor. Die Instanz­ge­richte urtei­len unter­schied­lich. Das OLG Koblenz (2001) spricht sich für Anfecht­bar­keit aus, das LG Düs­sel­dorf (2007) und das LG Mainz (2005) gar für Nich­tig­keit. In den Kom­men­ta­ren zum AktG ist das Mei­nungs­bild gespal­ten. Nich­tig­keit wird nur ver­ein­zelt befür­wor­tet (Kubis); über­wie­gend wird Anfecht­bar­keit erwo­gen, ent­we­der stets bei Fort­set­zung nach Mit­ter­nacht (Zie­mons, Herr­ler) oder je nach den Umstän­den (Noack/​Zetzsche, Hüffer/​Koch, Rieckers), zum Teil wird auch Anfecht­bar­keit ver­neint (Drin­hau­sen, Reger).

Text erschie­nen im Rechts­board v. 23.6.2016

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