TTIP-Schiedsverfahren: Bundestag könnte Bundesrichter zu Schiedsrichtern wählen!

Gast­bei­trag von Prof. Dr. Heri­bert Hirte (MdB):

In der öffent­li­chen Dis­kus­sion um das euro­pä­isch-ame­ri­ka­ni­sche Frei­han­dels­ab­kom­men TTIP (aber auch andere) stößt die beab­sich­tigte Zuwei­sung etwai­ger Strei­tig­kei­ten an Schieds­ge­richte, das soge­nannte Inves­tor-Staat-Schieds­ver­fah­ren”, auf beson­dere Kritik. 

Zunächst ein­mal ist dies gerade in Deutsch­land beson­ders gut ver­ständ­lich: Denn das Ver­trauen der Deut­schen in ihre Jus­tiz ist groß, und ebenso groß ist — jeden­falls bei vie­len Bür­gern — das Ver­trauen dar­auf, dass der Staat eine Auf­gabe bes­ser bewäl­ti­gen kann als Pri­vate. Gleich­zei­tig han­delt es sich aber bei den aus Frei­han­dels­ab­kom­men fol­gen­den Streit­ver­fah­ren um kom­plexe (und zudem sehr umfang­rei­che) wirt­schafts­recht­li­che Strei­tig­kei­ten auf höchs­tem Niveau — und zudem mit grenz­über­schrei­ten­dem Bezug. Wirt­schafts­recht­li­che und ins­be­son­dere wirt­schafts­wis­sen­schaft­li­che Kennt­nisse gehö­ren aber (lei­der) nicht zum Stan­dard­re­per­toire vie­ler deut­scher Rich­ter, und die Jus­tiz­ver­wal­tun­gen tun sich auch schwer damit, die erfor­der­li­chen Res­sour­cen, etwa in Form von Schu­lun­gen, bereit­zu­stel­len. Das hat etwa die Dis­kus­sion um die jüngste Insol­venz­rechts­re­form gezeigt. Was rechts­ver­glei­chende oder gar fremd­sprach­li­che Arbeit in der deut­schen Jus­tiz angeht, sieht es nicht viel bes­ser aus. Zudem sind deut­sche Zivil­ge­richte schon heute an der Kapa­zi­täts­grenze ange­langt – der durch­schnitt­li­che Land­rich­ter hat deut­lich mehr als 100 Ver­fah­ren auf sei­nem Schreib­tisch lie­gen. Man kann sich also vor­stel­len, mit wel­cher Begeis­te­rung (und Inten­si­tät) ein trans­na­tio­na­les Ver­fah­ren mit einem Akten­um­fang von meh­re­ren Umzugs­kis­ten von einem ein­zel­nen (mög­li­cher­weise frisch von der Uni kom­men­den) Rich­ter bear­bei­tet wer­den wird. Wenn man trotz eines sol­chen Befun­des gro­ßes Ver­trauen in die wirt­schafts­recht­li­che und inter­na­tio­nale Kom­pe­tenz deut­scher Gerichte hat, wäre die Aus­klam­me­rung einer ein­heit­li­chen Neu­re­ge­lung von inter­na­tio­na­len Schieds­ge­richts­ver­fah­ren aus den Abkom­men zu begrü­ßen — und sollte auch auf eine künf­tig bes­sere finan­zi­elle Aus­stat­tung hof­fen lassen. 

Aber wer Schieds­ver­fah­ren für ein euro­pä­isch-ame­ri­ka­ni­sches Frei­han­dels­ab­kom­men ablehnt, über­sieht noch mehr: Zum einen wären in einem sol­chen Fall auf euro­päi­scher Seite ja nicht nur die hoch ange­se­he­nen und trotz der genann­ten Vor­be­halte durch­aus gut qua­li­fi­zier­ten deut­schen Gerichte zu Urtei­len beru­fen, son­dern glei­cher­ma­ßen auch die aller ande­ren euro­päi­schen Mit­glied­staa­ten. Hier gibt es aber durch­aus Staa­ten und Regio­nen, in denen Qua­li­tät und Aus­stat­tung der Jus­tiz auch auf abseh­bare Zeit nicht mit der uns­ri­gen ver­gleich­bar sind. Bei­spiels­weise ver­mei­den selbst wohl­mei­nende (Nord-)Italiener das Pro­zes­sie­ren an süd­ita­lie­ni­schen Gerich­ten, es sei denn, sie suchen einen Weg zur Rechts­ver­wei­ge­rung. Wer sich im euro­pä­isch-ame­ri­ka­ni­schen Kon­text daher gegen Schieds­ver­fah­ren wen­det, mutet dem ande­ren Teil eine erheb­li­che Rechts­un­si­cher­heit zu — und muss sich der Kon­se­quen­zen die­ser For­de­run­gen daher auch bewusst sein. Ein klar regu­lier­tes Sys­tem von ein­heit­li­chen Schieds­ge­richts­ver­fah­ren kann hin­ge­gen glei­che Stand­ort­be­din­gun­gen in ganz Europa bedeuten. 

Zum Zwei­ten: Es ist nach­voll­zieh­bar, den eige­nen Jus­tiz­stand­ort gegen eine Aus­höh­lung durch Schieds­ge­richte ver­tei­di­gen zu wol­len. Aber das muss dann selbst­ver­ständ­lich in beide Rich­tun­gen gel­ten. Deut­sche (und euro­päi­sche) Unter­neh­men wären daher spie­gel­bild­lich ver­pflich­tet, ihre Ansprü­che und For­de­run­gen wegen Ver­let­zun­gen des Frei­han­dels­ab­kom­mens vor natio­na­len und regio­na­len US-Gerich­ten durch­zu­set­zen. Das wäre vie­len Ame­ri­ka­nern sicher will­kom­men, da es kei­nem Ame­ri­ka­ner in den Sinn käme, die man­gelnde Rechts­staat­lich­keit der eige­nen Jus­tiz in Frage zu stel­len. Nur: Wer jemals vor US-Gerich­ten geklagt hat, weiß, wel­chen Auf­wand und wel­che Kos­ten dies mit sich bringt. Eine Erstat­tung der Pro­zess­kos­ten des obsie­gen­den Teils in einem Ver­fah­ren etwa gibt es in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten grund­sätz­lich nicht. Zudem ist eine gewisse Ten­denz in Urtei­len bei grenz­über­schrei­ten­den Sach­ver­hal­ten – den­ken wir nur an Aus­schrei­bungs­ver­fah­ren, bei denen im ers­ten Durch­gang euro­päi­sche Fir­men gewon­nen haben (Stich­wort Tank­flug­zeuge für die US Air Force) – nicht zu ver­heh­len. Wer also in Europa strei­ten­den ame­ri­ka­ni­schen Unter­neh­men die deut­sche (bzw. euro­päi­sche) Jus­tiz anbie­tet”, muss wis­sen, dass er damit spie­gel­bild­lich deut­schen (und euro­päi­schen) Unter­neh­men die lokale US-Jus­tiz zumu­tet”. Wirt­schaft­li­ches Ver­ständ­nis mag dort durch­aus mehr als in deut­schen Gerich­ten vor­han­den sein, aber rechts­ver­glei­chen­des Ver­ständ­nis oder gar Fremd­spra­chen­kennt­nis sind dort (noch) weni­ger vor­han­den als in euro­päi­schen Gerich­ten. Auch darf nicht ver­ges­sen wer­den, dass Rich­ter in den USA häu­fig direkt vom Volk gewählt wer­den und sich daher (auch) ihren Wäh­lern direkt ver­pflich­tet füh­len. Zudem ist es nicht aus­zu­schlie­ßen, dass ein Pro­zess am Ende vor einem der ein­zel­staat­li­chen Gerichte ver­han­delt wird, die in Sachen Pro­tek­tio­nis­mus durch­aus einen guten Ruf haben. 

Die ein­fa­che Ver­teu­fe­lung von Schieds­ver­fah­ren” für die Bewäl­ti­gung von Strei­tig­kei­ten im Zusam­men­hang mit Frei­han­dels­ab­kom­men hilft aber nicht wei­ter. Was wir brau­chen, ist ein Ansatz, der die teil­weise durch­aus berech­tig­ten Beden­ken gegen sol­che Ver­fah­ren auf­greift und ande­rer­seits einen für die Inves­to­ren auf bei­den (!) Sei­ten des Atlan­tiks ver­läss­li­chen Rechts­rah­men bereit hält. Die EU-Kom­mis­sion ist, wie die von Ende März bis Ende Juni 2014 durch­ge­führte öffent­li­che Kon­sul­ta­tion zeigt, hier­für offen und will ent­spre­chende Anre­gun­gen in die wei­te­ren Ver­hand­lun­gen ein­flie­ßen lassen. 

Als ver­mit­teln­der Ansatz” hier­für bie­tet sich zunächst an, in die vor­ge­schla­gene Liste von Schieds­rich­tern sei­tens Deutsch­lands nur deut­sche Berufs­rich­ter – bes­ser noch nur Bun­des­rich­ter – zu wäh­len. Das könnte unschwer durch den Deut­schen Bun­des­tag erfol­gen, wo es für die Wahl der Bun­des­rich­ter und Bun­des­ver­fas­sungs­rich­ter einen bewähr­ten gesetz­li­chen Rah­men gibt. Recht­lich ließe sich das im ent­spre­chen­den Begleit­ge­setz zur Rati­fi­ka­tion des Abkom­mens regeln, mög­li­cher­weise sogar, ohne dass es dafür einer aus­drück­li­chen Öff­nung” im Abkom­men selbst bedürfte. 

Gelingt die Bestel­lung eines Schieds­rich­ters bzw. die Eini­gung auf einen Vor­sit­zen­den nicht, bie­tet sich die Ein­be­zie­hung der bei­den Insti­tu­tio­nen an, wel­che auf bei­den Sei­ten des Atlan­tiks geschaf­fen wur­den, um das Ver­trauen in die Jus­tiz in grenz­über­schrei­ten­den Sach­ver­hal­ten sicher­zu­stel­len. Das ist auf der euro­päi­schen Seite der Euro­päi­sche Gerichts­hof, des­sen Ziel es ja gerade ist, durch Ein­be­zie­hung von Rich­tern aus ganz Europa ein von Natio­na­lis­mus und Pro­tek­tio­nis­mus freies und ein­heit­li­ches euro­päi­sches Recht zu erhal­ten. Auf der ande­ren Seite ist dies die US-ame­ri­ka­ni­sche Bun­des­ge­richts­bar­keit mit dem US Supreme Court an ihrer Spitze, wel­che schon län­ger auf ame­ri­ka­ni­schem Boden ähn­li­che Ziele ver­folgt. Natür­lich könn­ten die ent­spre­chen­den Ent­schei­dun­gen über mög­li­che Schieds­rich­ter auch an ein­zelne Kam­mern dele­giert wer­den. Eine Rich­ter­be­stel­lung für Strei­tig­kei­ten aus einem euro­pä­isch-ame­ri­ka­ni­schen Frei­han­dels­ab­kom­men ist daher in den gemein­sa­men Hän­den die­ser bei­den hoch­an­ge­se­he­nen Insti­tu­tio­nen — etwa in Form eines Euro/US-Supreme Court für Wirt­schafts­recht gut vor­stell­bar. Das hohe Ver­trauen in das eigene Jus­tiz­sys­tem, die Sou­ve­rä­ni­tät der Staa­ten und der not­wen­dige Inves­to­ren­schutz lie­ßen sich auf diese Weise mit­ein­an­der ver­söh­nen. Und selbst­ver­ständ­lich lie­ßen sich diese Insti­tu­tio­nen im Rah­men eines denk­ba­ren Instan­zen­zu­ges auch wei­ter­ge­hend zur Kon­trolle etwai­ger Schieds­sprü­che einbeziehen.

12 Kommentare

  1. TTIP ist bei der Art und Weise, in der die Ver­hand­lun­gen bekannt wer­den über­flüs­sig wie ein Kropf. Wenn man schon trans­at­lan­ti­sche Ver­hand­lun­gen zum Frei­han­del füh­ren will, dann muss das unter stän­di­ger Ein­be­zie­hung nicht nur des Par­la­men­tes, son­dern der gesam­ten betrof­fe­nen Öffent­lich­keit statt­fin­den. Und nicht ein Ver­han­deln durch ein­zelne Leute (die nicht­ein­mal von den Betrof­fe­nen gewählt wur­den) hin­ter ver­schlos­se­nen Türen, die dann vor dem Par­la­ment eine Friß oder Stirb-Prä­sen­ta­tion ver­an­stal­ten. Und wenn man schon etwas ver­han­deln will, dann sollte man das auch auf soli­der Basis ange­hen und nicht mit Phan­ta­sie­zah­len han­tie­ren, was das poten­ti­elle Wachs­tum angeht. Zumal — Schluss­punkt inso­weit — wie groß kann eigent­lich der gestreckte Mit­tel­fin­ger der fuck the EU”-USA auch in Sachen Spio­nage gegen­über der Bevöl­ke­rung, der Wirt­schaft und der Poli­tik noch wer­den, bevor die Poli­ti­ker die USA die USA sein las­sen und die Ver­hand­lun­gen abbre­chen? Der an die USA über­mit­telte Fra­gen­ka­ta­log des BMI ist nach wie vor unbe­ant­wor­tet — trotz inzwi­schen wenn mich nicht alles täuscht dreier Nachfragen?

    Mir schwillt zudem auch noch der Kamm, wenn die Kom­mis­sion nach mas­si­ven öffent­li­chen Pro­tes­ten gegen die Art und Weise der Ver­hand­lungs­füh­rung eine Trans­pa­renz­of­fen­sive” zu den Ver­hand­lun­gen star­tet, dann eine öffent­li­che Kon­sul­ta­tion star­tet und sich anschlie­ßend beschwert, dass zu viele Men­schen ihre Mei­nung zu dem geplan­ten Abkom­men (jeden­falls der Teile, die ohne Wil­len der Kom­mis­sion öffent­lich bekannt wur­den) über­mit­telt haben.

    Wie kann man eigent­lich als den­ken­der Mensch auf die Idee kom­men, dass einem Wirt­schafts­un­ter­neh­men seine grenz­über­schrei­ten­den Inves­ti­tio­nen [durch die Poli­tik auf Kos­ten der Steu­er­zah­ler] abge­si­chert wer­den müs­sen? Ich dachte immer, dass in den Unter­neh­men fähige Leute arbei­ten, die Inves­ti­tio­nen auf Grund von wirt­schaft­li­chen Ana­ly­sen täti­gen (und diese Inves­ti­tio­nen zugleich absi­chern) und nicht auf Grund einer rein spe­ku­la­ti­ven Erwar­tungs­hal­tung (die sie sich anschlie­ßend wirt­schaft­lich ver­gol­den las­sen kön­nen, wenn sich an den recht­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen etwas geän­dert haben sollte).

    TTIP ist ein Lehr­stück, wie man es als Kom­mis­sion — und auch als Poli­ti­ker — nicht machen sollte. Ich wage eine kleine Pro­gnose: wenn TTIP — in der geplan­ten Form — ver­ab­schie­det wer­den sollte, dann wird es für die Ver­ant­wort­li­chen und befür­wor­ten­den Poli­ti­ker (und da schließe ich den Autor der obi­gen Zei­len durch­aus mit ein) jah­re­lang so mas­si­ven öffent­li­chen Gegen­wind im Schwer­punkt aus der jun­gen Genera­tion geben, dass Hören und Sehen ver­ge­hen wird.

    Wie ste­hen Sie eigent­lich dazu, dass nach Auf­fas­sung der KOM die Zustim­mung der natio­nale Par­la­mente zu dem Abkom­men ent­behr­lich ist?

    1. Sie spre­chen viele Fra­gen an. Was zunächst die Zustim­mung der natio­na­len Par­la­mente angeht, kommt es auf den end­gül­ti­gen Inhalts des Abkom­mens an. Viel spricht dafür, dass dann am Ende die natio­na­len Par­la­mente zuzu­stim­men haben. Für die Rich­ter­aus­wahl habe ich mich ja schon klar dafür ausgesprochen. 

      Und zu Schieds­ver­fah­ren: Wenn Sie sich ein wenig mit grenz­über­schrei­ten­den Inves­ti­tio­nen beschäf­ti­gen, wer­den Sie wis­sen, dass ins­be­son­dere die US-Ein­zel­staa­ten kein Kind von Trau­rig­keit sind, wenn es darum geht, recht­li­che Rege­lun­gen zu Las­ten von aus­län­di­schen Inves­to­ren nach­träg­lich zu ver­än­dern. Die hoch­qua­li­fi­zierte staat­li­che Jus­tiz fin­det dann nicht sel­ten gute Gründe”, dies zu legi­ti­mie­ren. Mit vor­her­seh­ba­ren wirt­schaft­li­chen Risi­ken hat das nichts zu tun. 

      Die wei­te­ren von Ihnen ange­spro­che­nen Fra­gen sind wich­tig. Aber ihre Beant­wor­tung würde hier den Rah­men sprengen.

  2. So skep­tisch wäre ich bezüg­lich der inter­na­tio­na­len und wirt­schaft­li­chen Aus­rich­tung deut­scher Rich­ter nicht. Allein in mei­nem klei­nen Amts­ge­richt arbei­ten zwei ehe­ma­li­ger Part­ner inter­na­tio­na­ler Groß­kanz­leien und meh­rere Rich­ter, die über meh­rere Jahre als asso­cia­tes in der­ar­ti­gen Kanz­leien tätig waren. Und natür­lich haben auch andere Rich­ter Erfah­run­gen mit gro­ßen” Fäl­len, die ja der­zeit auch vor deut­schen staat­li­chen Gerich­ten ver­han­delt wer­den, viel­leicht mehr als deut­sche Pro­fes­so­ren, die als Schieds­rich­ter ein­ge­setzt werden.

    1. Des­halb halte ich es ja auch für denk­bar, deut­sche Berufs­rich­ter (oder auch nur Bun­des­rich­ter) zu Schieds­rich­tern zu machen. Nur würde das eine gewisse Vor­auswahl gerade mit Bezug auf die von Ihnen genann­ten Sprach­kennt­nisse vorsussetzen.

  3. Zum Gast­bei­trag von Heri­bert Hirte:

    Ich schätze die Äuße­run­gen des Bei­tra­gen­den sehr. Hier springt er aber zu kurz.

    Die Frage nach dem Inves­ti­ti­ons­schutz andere Unter­neh­men, die Ihren Sitz nicht im Inves­ti­ti­ons­i­ons­ge­biet haben, lässt sich nicht mit dem Hin­weis lösen, man könne ja hoch besol­dete Rich­ter des jewei­li­gen Rechts­kreis für die inter­na­tio­nale” Schieds­ge­richts­bar­keit abstel­len und damit die Frage lösen.
    Bei den Dis­kus­sion um den Inves­ti­ti­ons­schutz geht es um weit mehr.
    Um mal ein paar Punkte aufzuzählen:
    1. Mit wel­chem Recht kann man natio­nale oder euro­päi­sche Unter­neh­men das Recht ver­wei­gern, nicht die glei­chen Inves­ti­ti­ons­rechte gegen über ihrem Mut­ter­land gel­tend zu machen, wenn deren Inves­ti­ti­ons­vi­sio­nen genau so ent­täuscht wer­den, wie die Aus­sich­ten ihres ame­ri­ka­ni­schen Mitwettbewerbers.

    Wer ein prak­ti­sches Bei­spiel benö­tigt, mag bei der Bun­des­re­gie­rung mal nach dem Stand der Ver­hand­lun­gen der Firma Vat­ten­fall gegen BRD, vor inter­na­tio­na­lem Schieds­ge­richt in New York und den Ver­fah­ren RWE u.a. gegen BRD vor diver­sen deut­schen Gerich­ten wegen des let­zen Atom­aus­stie­ges sich bemü­hen. Dabei mag man mit den deut­schen Ener­gie­kon­zer­nen auch dar­über reden, ob sie es nicht vor­zö­gen, nicht auch lie­ber die Schieds­ge­richte anzu­ru­fen. Aus Sicht der hie­si­gen Unter­neh­men ist die Rechts­lage für sie eher schlech­ter als bes­ser im Ver­gleich zum Bei­spiels­fall: Vat­ten­fall und RWE u.a..
    Die wirt­schaft­recht­lich bera­ten­den Berufs­stände könn­ten in der Zukunft dann dem euro­päi­schen Unter­neh­men dann emp­feh­len, risi­ko­rei­che Inves­ti­tio­nen von einem ver­bun­de­nen Unter­neh­men aus Ame­rika hier zu platzieren.
    2. Wer in Deutsch­land sich heute gegen Schieds­ge­richts­klau­seln in Han­dels­ab­kom­men wen­det, sollte wis­sen, dass diese Klau­seln und zwar in weit­aus här­te­rer Art, als jetzt ver­han­delt, zu den deut­schen Stan­dards bei bila­te­ra­len Han­dels­ab­kom­men zählt. Wir sind also keine Unschul­di­gen oder Unbedarfte.
    3. Zu wel­chen Kaprio­len sol­che Ver­fah­ren füh­ren kön­nen, erlebt gerade Argen­ti­nien, die über 12 Jah­ren nach ihrer letz­ten Staats­pleite von den Rechts­nach­fol­gern der dama­li­gen Gläu­bi­ger, die dem dama­li­gen Schul­den­schnitt nicht bei­getre­ten sind, nun mit Erfolg in den USA ver­ur­teilt wur­den, die For­de­run­gen aus­zu­glei­chen und nun die Voll­stre­ckungs­maß­nah­men der obsie­gen­den Rechts­nach­fol­ger der Kapi­tal­in­ves­ti­tu­ren aus­hal­ten müs­sen. Argen­ti­nien ist zur­zeit zahlungsunfähig.
    Das ist zwar nicht unbe­dingte Folge eines Han­dels­ab­kom­mens, was ich auch nicht behaupte, ich möchte nur auf die mög­li­chen Fol­gen eines Schieds­ver­fah­ren hin­wei­sen. Die Fol­gen eines sol­chen Schieds­ver­fah­ren, kön­nen aber für die Volks­wirt­schaf­ten ver­her­rend sein, wes­we­gen man hier auch genauer hin­se­hen sollte. Denn jeder Bür­ger kann von den Ver­fah­ren mit­tel­bar schwer getrof­fen wer­den, wie die Argen­ti­nier nun erfahren.
    4. Damit ver­trägt sich dann aber der in Unter­neh­mens­krei­sen so sehr gewünschte Umstand, dass die Schieds­ge­richte nicht öffent­lich tagen und man über den Stand nicht berichtet.
    In sol­chen Sachen — die res publica” sind — ein Unding. Feh­ler der Poli­tik tref­fen hier den Bür­ger, dann sollte er auch infor­miert sein.
    5. So dann habe ich bis­her in kei­nem Han­dels­ab­kom­men eine ver­nünf­tige Rege­lung für den Fall gese­hen, dass der andere Ver­trags­staat, die Option erhal­ten kann, unbe­scha­det des Han­dels­ab­kom­mens eine von ihm für sinn­voll erach­tete Indus­trie­po­li­ti­sche Maß­nahme Scha­dens­er­satz­frei durch­füh­ren zu können.
    Man denke nur in die 70er Jahre zurück, in der u.a. Frank­reich, Spa­nien, Deutsch­land und andere euro­päi­sche Staa­ten als poli­ti­sche Ent­schei­dung die zu nächst hoch sub­ven­tio­nierte AIR­BUS Indus­trie gegen die US Kon­zerne BOING u.a. auf­bau­ten. Wie sollte dass nach Abschluss des TTIP noch­mal funktionieren?
    Etwa ange­dacht in einer eigen­stän­di­gen euro­päi­schen EDV-Soft­ware und Hard­ware Initia­tive zur Erhal­tung eines durch die öffent­li­che Hand gestütz­ten Inves­ti­ti­ons­vor­ha­bens zum Schutze der Digi­ta­len Selbst- und Unab­hän­gig­keit” gegen google, micro­soft, apple, aol u.v.a. mehr. Wie soll so etwas nach TTIP noch gehen?
    6. Die ange­spro­chene Frage des Autors zur Gerichts­bar­keit ist auch halb­her­zig gelöst.
    Die Qua­li­tät der Rich­ter für diese Tätig­keit fin­det man nicht nur bei Bun­des­rich­tern. Das ver­wischt nur die drän­gende Fra­gen, der Unba­hän­gig­keit, der Öffent­lich­keit die­ser Gerichtsbarkeit.
    Die Zahl der Ver­fah­ren ist in den letz­ten 20 Jah­ren enorm gestie­gen, man kann also nun durch­aus auch stän­dige Schieds­ge­richte ein­rich­ten. Dabei könnte auch über eine stän­dige Gerichts­ord­nung nebst Pro­zess­ord­nung nach­ge­dacht werden.
    Die Unab­hän­gig­keit kann durch eine lang­jäh­rige feste Ver­pflich­tung des Rich­ters gestärkt wer­den — ohne das Recht zur Wie­der­wahl und der Pflicht nach Abschluss der Tätig­keit in den Ruhe­stand zu gehen. Eine spä­tere Tätig­keit des Rich­ters für Indus­trie oder Staat, wäre nicht vertrauensfördernd.
    Die Sit­zun­gen des Gerichts soll­ten Öffent­lich sein.
    Gewählt wer­den könn­ten alle zum Rich­ter beru­fe­nen Absol­ven­ten, wenn sie min­des­tens 10 Jahre Tätig­keit in einem Rechts­fra­gen betref­fen­den Beruf absol­viert haben und von einem inter­na­tio­na­len Gre­mium vor­ge­schla­gen werden.
    Gelöst wer­den sollte auch die Frage eines Rechts­mit­tels gegen die Urteile der Schied­ge­richts­bar­keit, die in der Regel kein Rechts­mit­tel kennen.
    Mit­ver­folg­tes Ziel sollte die Schaf­fung eines Mus­ter für ein über­na­tio­nale all­ge­meine Staat / Unter­neh­mens Gerichtsbarkeit.
    Bei dem gan­zen muss aber die poli­ti­sche Hand­lungs­fä­hig­keit der öffent­li­chen Kör­per­schaf­ten, also am Ende die Poli­tik­fä­hig­keit des Bür­gers, bestehen blei­ben. Der Rechts­staat bleibt nur solange bestehen, wie er den Bür­gern die Teil­nahme am pol­ti­schen Leben schützt.
    Das sollte man bei der Dis­kus­sion nicht aus den Augen ver­lie­ren. Die betrof­fe­nen Kör­per­schaf­ten soll­ten bei TTIP dar­auf drän­gen, das sie ein Zustim­mungs­recht zum Abkom­men haben, dringt die­ses doch tief in die Kom­pe­ten­zen der Art. 70 ff GG ein.

    Gis­bert Blum

    1. Da ist vie­les rich­tig — geht aber über meine Vor­schläge zu einer begrenz­ten Frage hin­aus. Des­halb hier nur eine Anmer­kung zu Ihrer Num­mer 1: Ja, es ist nicht gerecht, wenn im inner­staat­li­chen Bereich in Fäl­len kein Scha­den­er­satz geleis­tet wird, in denen er in einer grenz­über­schrei­ten­den Kon­stel­la­tion gewährt wird. Des­halb for­dert die CDU seit Lan­gem eine Reform des (natio­na­len) Staatshaftungsrechts. 

      Und viel­leicht noch eine Anmer­kung zu Nr. 6: Natür­lich kann man auch die Öffent­lich­keit von Schieds­ver­fah­ren vorsehen!

      1. Bei allen Über­le­gun­gen — das zeigt auch die heu­tige Debatte über CETA im Bun­des­tag — darf es am Ende nicht heißen:

        Alle Macht geht vom Volke aus, soweit kein Inves­to­ren­schutz dage­gen steht.”

        Wel­cher CDU-Ent­wurf hier bei der Reform des Staats­haf­tungs­rech­tes gemeint ist, ist mir lei­der nicht klar. Aber der Hin­weis ist im Hin­blick auf die betrof­fe­nen Gesetz­ge­bungs­kom­pe­ten­zen doch hilf­reich. Ein­ge­denk der dama­li­gen Ver­wer­fung der ver­ab­schie­de­ten Geset­zes­re­form zum Staats­haf­tungs­rech­tes durch den Bund­prä­si­den­ten Carl Cars­tens, der das Bun­des­ge­setz unter Hin­weis auf die ver­letz­ten Gesetz­ge­bungs­kom­pe­ten­zen der Bun­des­län­der nicht aus­fer­tigte, dürfte auch bei einem sol­chen Ein­griff durch ein Abkom­men, die Län­der­kam­mern einem sol­chen Akt zustim­men müssen.
        Ob der EU-Kom­mis­sar das auch so sieht? Da bestehen erheb­li­che Zweifel.

    1. Hier wird auch nur ein Vor­schlag zu einem, aber durch­aus ent­schei­den­den Aspekt gemacht. Natür­lich gibt es viele wei­tere wich­tige Fragen!

  4. Vorab: Ich bin bei Wei­tem kein Fach­mann für US-ame­ri­ka­ni­sches Pro­zess­recht. Aller­dings scheint mir das Argument 

    Auch darf nicht ver­ges­sen wer­den, dass Rich­ter in den USA häu­fig direkt vom Volk gewählt wer­den und sich daher (auch) ihren Wäh­lern direkt ver­pflich­tet füh­len. Zudem ist es nicht aus­zu­schlie­ßen, dass ein Pro­zess am Ende vor einem der ein­zel­staat­li­chen Gerichte ver­han­delt wird, die in Sachen Pro­tek­tio­nis­mus durch­aus einen guten Ruf haben.”

    doch etwas fern­lie­gend vor dem Hin­ter­grund von Art. 3 § 2 der US-Verfassung:
    Danach erstreckt sich die Zustän­dig­keit der Bun­des­ge­richte auf:
    „…all cases, in law and equity … bet­ween a state, or the citi­zens the­reof, and for­eign sta­tes, citi­zens or subjects…”

    Damit wäre man bei inter­na­tio­na­len Strei­tig­kei­ten (um die es hier wohl geht) in jedem Fall vor den Bun­des­ge­rich­ten (not­falls per Verweisungsantrag).

    Nun ist es aber so, dass nach Art. II § 2 der US-Ver­fas­sung gilt, dass alle Rich­ter in der Bun­des­ge­richts­bar­keit vom Prä­si­den­ten mit Zustim­mung des Senats (auf Lebens­zeit) ernannt werden.

    Der Ein­wand, dort säßen oppor­tu­nis­ti­sche Pro­tek­tio­nis­ten ist vor die­sem Hin­ter­grund nicht recht ein­seh­bar (näher hätte es gele­gen, auf das Recht auf eine Jury-Ver­hand­lung zu ver­wei­sen — die­ses besteht näm­lich vor den Bun­des­ge­rich­ten, vgl. 7th Amend­ment: In Suits at com­mon law, where the value in con­tro­versy shall exceed twenty dol­lars, the right of trial by jury shall be pre­ser­ved, and no fact tried by a jury, shall be other­wise re-exami­ned in any Court of the United Sta­tes, than accord­ing to the rules of the com­mon law”).

    Viele Grüße

    Michael Beurs­kens

  5. Sie haben völ­lig recht. In ers­ter Linie sind die Bun­des­ge­richte zustän­dig. Aber — wie Sie selbst schrei­ben — die Zustän­dig­keit ein­zel­staat­li­cher Gerichte ist nicht aus­zu­schlie­ßen”. Dabei ist neben den von Ihnen geschil­der­ten Fäl­len etwa an sol­che Strei­tig­kei­ten zu den­ken, denen der grenz­über­schrei­tende Cha­rak­ter — und damit die Zustän­dig­keit der Bun­des­ge­richte — gar nicht direkt anzu­se­hen ist.

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