Ein bedenkenswerter Kommentar von Döring in der Börsenzeitung v.2.8. prognostiziert eine „neue Eiszeit”. Damit wird nicht etwa die herrschende Klimahypothese bestritten. Es geht nicht ums Wetter, sondern (anlässlich der Causa Siemens) um die Beziehungen in den Führungsetagen deutscher Großunternehmen.
„Manager, die in der Vergangenheit ein gewisses Maß an Kreativität an den Tag gelegt haben, wenn es darum ging, Gesetze und Vorschriften im Sinne der eigenen Geschäfte (und Arbeitsplätze) auszulegen, werden sich nach dem Fall Siemens zurückhalten. Vor allem wird der Wunsch zunehmen, sich gegen alles und jedes abzusichern und Verantwortung von vornherein abzuwälzen. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Vorstand wird untergraben, wenn man als Vorstandsmitglied aufgrund des deutschen Kollegialorgan-Prinzips auch für Verstöße außerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs in Haftung genommen wird. Die Verantwortung freilich, die Vorstände künftig nicht mehr tragen wollen, wird bei den Aufsichtsräten landen. Sind die Aufsichtsräte darauf vorbereitet?”
„Das Ausmaß der Kriminalsierung von länder- oder branchenüblichen Praktiken, die bis vor zehn Jahren vom deutschen Fiskus anerkannt und damit schließlich gefördert wurden, wird Folgen haben, die all jenen, die heute so kräftig die moralische Keule schwingen, vermutlich nicht bewusst sind. Mit den Siemens-intern als „nützliche Aufwendungen” umschriebenen und als Beraterhonorare gebuchten Bestechungsgeldern hat Siemens … ein jährliches Geschäftsvolumen von rund 1 Mrd. Euro gesichert. Darauf hätte der Konzernvorstand zweifellos verzichten können. Doch im Netzwerkgeschäft mit 50 000 Beschäftigten wären jeder vierte Umsatz-Euro und viele Jobs weggefallen. Das Lamento der Betriebsräte und Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat hätte man hören wollen, wäre Siemens auf die Idee gekommen, alle Länder von der Exportliste zu streichen, deren rigide Einfuhrschranken oder opportunistische Auftragsvergabe sich nur durch gezielten finanziellen Einsatz beeinflussen ließen. Oder wenn die Exporte durch Produktion vor Ort ersetzt worden wären. Nun werden diese Geschäfte andere machen — allen voran die politisch protegierten US-Konzerne.”
Da legt Herr Döring aber ein komisches (und deshalb kaum bedenkenswertes ) Verständnis von Vertrauen und Verantwortung zugrunde. Wenn ein Mitglied eines Kollegialorgans dem anderen vertraut, dann deshalb weil er weiß, dass er für dessen Entscheidungen mithaftet. Er bräuchte ihm nicht zu vertrauen, wenn er für dessen Entscheidungen keine Mitverantwortung trüge. Und wenn die Vorstände künftig keine Verantwortung mehr tragen wollen, weil sie nunmehr (in der deutschen Aktienrechtsgeschichte mehr oder weniger erstmals) tatsächlich in die Verantwortung genommen werden, dann muss man fragen, ob sie denn bisher schon irgendeine Verantwortung übernommen haben. Wieviel Verantwortung übernimmt jemand, der weiß, dass er für seine Entscheidungen ohnehin nie tatsächlich in die Haftung geraten kann?
Und was die zweite zitierte Bemerkung angeht, so ist sie vom alleinigen Glauben an das Diktat des Geldes gekennzeichnet. Kann ein Staat seine Rechtsregeln nunmehr schon deshalb nicht mehr ändern, weil das Geschäft sonst „von jemand anderem” gemacht wird? Mit dem gleichen Argument sind unbegrenzte Waffenlieferungen in jeden beliebigen Staat der Erde zu rechtfertigen — denn sonst verlieren wir ja Arbeitsplätze.