Der Regierungsentwurf eines Gesetzes über virtuelle Hauptversammlungen ist auf der Zielgeraden. Am Mittwoch, 22.6.2022 findet eine Anhörung im BT-Rechtsausschuss statt. In der ersten Juliwoche ist die Verabschiedung im Deutschen Bundestag geplant. Es geht zügig voran, das ist die gute Nachricht. Die schlechte lautet, dass der Gesetzentwurf nicht gut ist. Nach seinem Konzept ist die virtuelle HV so etwas wie eine große Videokonferenz. Das mag für kleinere Aktiengesellschaften angehen, aber namentlich für börsennotierte AG ist dies unpassend. Videobeiträge und Fragen aus aller Welt zu handhaben dürfte juristisch und technisch die meisten Gesellschaften überfordern. Dann werden sie doch lieber mit der überschaubaren Zahl physisch präsenter Aktionäre (die keineswegs das Aktionariat repräsentieren) vorliebnehmen, damit hat man Erfahrung, steht auf der sicheren Seite. Die herkömmliche Saalpräsenz-HV wird bei der unattraktiven Ausgestaltung der virtuellen HV das Mittel der Wahl bleiben. Der Saal sei wegen des „direkten persönlichen Kontakts mit Vorstand und Aufsichtsrat” (BVI-Stellungnahme, S. 2) dem virtuellen Format per se überlegen, heißt es zuweilen. Jedenfalls bei großen Präsenz-HV besteht dieser imaginierte Kontakt nur im Blick aus der Stuhlreihe auf das Podium.
Wie konnte es dahin kommen? Der Referentenentwurf des BMJ hat noch versucht, die HV nicht als singuläres und langwieriges Tagesereignis, sondern vorsichtig als Prozess zu strukturieren (Vorfeldgedanke). Dies bedeutet, die Information über die Beschlussgegenstände vor dem HV-Tag zu organisieren, wozu insbesondere die Fragen aus dem Aktionärskreis gehören. Dagegen erhoben interessierte Kreise allerhand Bedenken, was zu dem Synkretismus des RegE führte, der Elemente des Vorfelds mit Gepflogenheiten der Präsenz-HV kombiniert. Damit landet man bei einer Art doppeltem Fragerecht, also einer Ausweitung. Eine Straffung der HV wird so nicht erreicht, was ihre Attraktivität weiter stark vermindert, und Aktionärsinteressen zuwiderläuft. Eine kurze knackige HV von etwa 2 Stunden, die den Abschluss eines vorherigen Kommunikationsverfahrens bildet, würde man sich geben. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung wird aber die virtuelle HV ebenso monströs ausfallen wie die herkömmliche.
Hinweis: Am 28.6.2022 findet an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf eine Vortrags- und Diskussionsveranstaltung u.a. dazu statt, s. hier.
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