Der Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof (II. Zivilsenat) Prof. Dr. Wulf Goette trat zum Ablauf des 30. September 2010 vorzeitig in den Ruhestand – und ab dem 1. Oktober 2010 als Of Counsel in das Stuttgarter Büro von Gleiss Lutz ein (danke an den Hinweis im Kommentar). Über die Nachfolge im Senatsvorsitz ist bislang nichts verlautbart worden. Stellvertretender Vorsitzender des Senats ist Dr. Lutz Strohn.
Aus der Pressemitteilung des BGH:
„Herr Prof. Dr. Goette wurde am 16. Mai 1946 in Lübeck geboren. Er ist verheiratet und hat vier erwachsene Kinder. Nach Abschluss der juristischen Ausbildung trat Herr Prof. Dr. Goette 1975 in den höheren Justizdienst des Landes Nordrhein-Westfalen ein. Als Richter auf Probe war er dem Landgericht Bonn zugewiesen und für ein Jahr im Wege einer Abordnung als juristischer Mitarbeiter in der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts Köln eingesetzt. 1978 wurde er zum Richter am Landgericht Bonn ernannt. Von 1981 bis 1985 war er an das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen abgeordnet und dort zunächst als Referent für Justizverwaltungsangelegenheiten und Mitarbeiter in verschiedenen Arbeitsgruppen tätig, sodann als Referent für „Justizforschung, Justizstatistik und Geschäftsübersichten”. 1983 wurde er zum Richter am Oberlandesgericht ernannt und war dort Mitglied eines Zivilsenats.
Im Jahr 1990 wurde Herr Prof. Dr. Goette zum Richter am Bundesgerichtshof ernannt. Er wurde dem für das Gesellschaftsrecht zuständigen II. Zivilsenat zugewiesen, in dem er 2003 stellvertretender Vorsitzender wurde und seit seiner Ernennung zum Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof im Juni 2005 den Vorsitz innehat. Daneben war er von 1996 bis 2005 Mitglied des Kartellsenats, dessen stellvertretender Vorsitzender er seit 2002 war. Für den Kartellsenat war er von 1999 bis 2005 und für den II. Zivilsenat seit Juni 2005 Mitglied im Großen Senat für Zivilsachen.
Herr Prof. Dr. Goette verbindet in seiner Person höchste juristische Kompetenz mit breit angelegten, fundierten wirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Kenntnissen. Aufgrund seiner Fähigkeiten hat er die Rechtsprechung des II. Zivilsenats, dem er mehr als 20 Jahre angehörte, maßgebend mitgeprägt. Er hat zahlreiche Entscheidungen vorbereitet, die weit über den Einzelfall hinaus Bedeutung erlangt haben. Aus der Fülle der von ihm als Berichterstatter verfassten Grundsatzurteile seien nur die Entscheidung über die ungeschriebene Zuständigkeit der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft (BGHZ 159, 30 — „Gelatine”) genannt. Aus der großen Zahl bedeutender Urteile, die der Senat unter seinem Vorsitz und seiner maßgeblichen Mitwirkung getroffen hat, haben etwa die Entscheidungen zu den Möglichkeiten der Sanierung einer Fondsgesellschaft (BGHZ 183, 1 — „Sanieren oder Ausscheiden”), zur Zulässigkeit und zu den Grenzen von Mehrheitsbeschlüssen bei Abstimmungen in Gesellschafterversammlungen einer Personengesellschaft (BGHZ 170, 283 — „OTTO”) zur Bedeutung des Deutschen Corporate Governance Kodex für die Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen (BGHZ 180, 9 — „Kirch/Deutsche Bank) und BGHZ 182, 272 – „UMSCHREIBUNGSSTOPP”), BGHZ 175, 365 – „UMTS” und BGHZ 179, 71 – „MPS” zur Haftung im Konzern sowie BGHZ 173, 246 – „TRIHOTEL” zur Neuausrichtung der Existenzvernichtungshaftung im GmbH-Recht in der Öffentlichkeit und in Fachkreisen besondere Beachtung gefunden.
Die Rechsprechung des Kartellsenats prägte Herr Prof. Dr. Goette ebenfalls wesentlich mit. Auch hier stammen wichtige Entscheidungen aus seiner Feder, so etwa die Beschlüsse bzw. Urteile über die Zulässigkeit der zentralen Vermarktung der Fernsehübertragungsrechte an Europapokalheimspielen durch den Deutschen Fußballbund (BGHZ 137, 297 — „Europapokalheimspiele”), über das Vergleichsmarktprinzip bei Netznutzungsentgelten (BGHZ 163, 282 — „Stadtwerke Mainz”) und über die Unzulässigkeit von Rabatten im Rahmen der Buchpreisbindung (BGHZ 155, 189 — „Buchpreisbindung”).
Herr Prof. Dr. Goette genießt in der Fachöffentlichkeit ein äußerst hohes Ansehen, das er sich gleichermaßen durch seine richterliche Tätigkeit wie auch durch vielfältige wissenschaftliche Veröffentlichungen und Vorträge erworben hat. Er ist Mitherausgeber und Autor wichtiger Fachbücher und Fachzeitschriften. Wegen seines überragenden Fachwissens ist er mehrfach auch zu Anhörungen des Deutschen Bundestages eingeladen worden. Ausdruck der großen Wertschätzung, die ihm in Kreisen der Wissenschaft als einem ausgewiesenen Kenner des Gesellschaftsrechts entgegen gebracht wird, ist seine 1997 erfolgte Bestellung zum Honorarprofessor an der Universität Heidelberg.”
Das gibt wohl keinen „ruhigen” Ruhestand (http://www.juve.de/nachrichten/namenundnachrichten/2010/10/stuttgart-langjahriger-bgh-richter-steigt-bei-gleiss-lutz-ein).
Vom Bundesgerichtshof in eine Rechtsanwaltskanzlei — Eine Diskussion dazu wäre interessant.
Dieses Verhalten des Herrn Goette ist in jeder Hinsicht unangemessen und daher auf das Schärfste zu kritisieren. Natürlich gibt es immer wieder Richter oder auch Hochschullehrer, die nach ihrem Ruhestand bzw. ihrer Emeritierung noch als Anwalte arbeiten. Das ist per se begrüßenswert, wenn man dabei das richtige Maß beachtet. Dieses Maß geht verloren, wenn ein Richter, der das „Richterrecht” im GmbH- und Aktiengesellschaftsrecht wesentlich prägen durfte (!) und damit auch immer wieder mit den klar definierten Interessen der „wirtschafts- und vorstandsfreundlichen” Großkanzleien konfrontiert wurde, sich nun in den Dienst einer solchen kommerziell orientierten Großkanzlei („law firm” trifft es besser…) stellt. Das erweckt einen bösen Schein und wirft ein schlechtes Licht auf das richterliche Selbstverständnis. Just my two cents.
Ich stimme tjark vollkommen zu. Besondere Verantwortung zieht besonderes Verhalten mit sich.
Ich kann mich meinen „Vorrednern” nur anschließen. So etwas geht nicht! Da sträubt sich einem einfach das Nackenhaar, ohne dass ich nun aus dem Stand bestimmen könnte, wo genau die Grenze zwischen angemessen/unangemessen verläuft. Sie, Herr Prof. Noack, diskutieren im Blog des öfteren die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit wirtschaftsethischer Kodizes (Codes of Conduct, Codes of Ethics…), zuletzt zu Verhaltensmäßstäben für Großanleger. Brauchen wir so etwas nicht endlich auch für Richter, Parlamentarier u.ä., damit nicht ständig gegen das Sittlichkeitsempfinden verstoßen wird? Die „Drehtür” zwischen öffentlichem Amt und privater Beschäftigung muss zwar nicht eingestampft werden, aber es sollten sich einmal kluge Gedanken darüber machen, in welchen Fällen man sie besser einrastet!
Im letzten Satz (voriges Posting) schlich sich ein Fehler ein. Der Satz muss heißen:
Die “Drehtür” zwischen öffentlichem Amt und privater Beschäftigung muss zwar nicht eingestampft werden, aber es sollten sich einmal kluge Köpfe Gedanken darüber machen, in welchen Fällen man sie besser einrastet!
Zur Information: Goette hatte bis zu seinem nahtlosen Übergang in das Lager von Gleiss Lutz über genau solche Fälle zu befinden, in denen Gleiss Lutz auf Seiten der Aktiengesellschaften involviert war. Da kann man sein Vertrauen in den Rechtsstaat verlieren.
Herr Prof. Goette war auch bereits vor seinem Eintritt zu Gleiss Lutz mit dieser Kanzlei in Kontakt und hat mehrere Seminare gemeinsam mit Anwälten von Gleiss Lutz abgehalten. Auch hat er Inhouse-Seminare in Großkanzleien wie shearman sterling abgehalten. Daher ist es nur konsequent, wenn er nun direkt bei einer Großkanzlei einsteigt.
Daß Herr Goette, abgesehen von der Rechtsprechung zum Corporate Covernance Codex, nahezu stets zugunsten von Unternehmen/Verwaltung und gegen Aktionäre entschieden und die Rechtsprechung daher auf seine Weise geprägt hat, braucht nicht weiter zu verwundern. Der neue Artikel im Manager Magazin zeigt, dass auch seine ehemaligen Richterkollegen seinen Wechsel zu Gleiss Lutz kritisieren. Sämtliche Entscheidungen des 2. Senats in Verfahren, in denen Gleiss Lutz beteiligt war, stehen unter dem (in der Sache hoffentlich unberechtigten) Anschein der Käuflichkeit. Es lebe der deutsche Rechtsstaat!