Kapitalgesellschaften müssen ihre Rechnungslegung beim Bundesanzeiger einreichen (§ 325 HGB); sie ist für jedermann im Unternehmensregister abrufbar (§ 8b HGB). Diese Art der Offenlegung hat das EHUG (2007) eingeführt, ferner wurde die Sanktion (Ordnungsgeld, § 335 HGB) verschärft. Die Rechtslage beruht weithin auf EU-Richtlinien. Ob es eine gute Idee ist, auch die kleinste GmbH zur Offenlegung von Bilanz und GuV zu zwingen, bleibt umstritten. In der EU-Kommission wird über die Abschaffung der Bilanzpublizität für Kleinstunternehmen nachgedacht, aber diese Initiative scheint angesichts der unterschiedlichen Publizitätstraditionen nicht voranzukommen. — Stefan Schlauß vom Bundesamt für Justiz wies gestern auf der 4. Rheinischen Gesellschaftsrechtskonferenz darauf hin, dass seit dem EHUG die Publizitätspflicht von 90% der Unternehmen erfüllt werde (zuvor nur 5 – 10%). Allerdings gibt es (für die Bilanzgeschäftsjahre 2007 und 2008) auch jeweils ca. 120 000 Ordnungsgeldverfahren. Diese Verfahren betreffen zu 95% kleine Gesellschaften i.S.d. § 267 Abs. 1 HGB. Für eine Ermessensentscheidung bei der Frage, ob ein Ordnungsgeld festzusetzen sei, sah er keine Grundlage. Das LG Bonn wurde personell um 11 Richterstellen ausgebaut, um über die hohe Zahl der Beschwerden zu befinden. S. Folien. — Prof. Dr. Priester äußerte sich nach Prüfung der Pro- und Contra-Argumente im Ergebnis ablehnend zu der gegenwärtigen Totaloffenheit. Bilanzpublizität sollte es nur für kapitalmarktorientierte Unternehmen geben. Der Ausbau individuelle Einsichtsansprüche von Gesellschaftern und Gläubigern sei voranzutreiben. — Dr. Kuntze-Kaufhold (Justitiar markt intern Verlag) kritisierte die seiner Ansicht nach überzogenen Regelungen und plädierte dafür, die Autonomie mittelständischer börsenunabhängiger Kapital-gesellschaften besser zu schützen. Die Verhältnismäßigkeit der Verwaltungspraxis im Ordnungsgeldverfahren sah er verschiedentlich nicht gewahrt. Seine „Reparaturvorschläge”: Ordnungsgeld ist als Zwangsgeld im Justizverwaltungsverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen herabzusetzen/aufzuheben; Amnestie für kleine und mittlere Unternehmen bei unverhältnismäßig hohen, rechtskräftig gewordenen Ordnungsgeldern; Einführung einer Härtefallregelung und Befreiung für Kleinstunternehmen; Wegfall der Doppelpublizität.
Aktualisierung: Der Vortrag von Prof. Priester kann nun auch als Video abgerufen werden.
Es sei mir gestattet darauf hinzuweisen, dass in der Rechtswirklichkeit die inhaltlich bereits erheblich erleichterten Offenlegungspflichten für kleine Kapitalgesellschaften (vgl. § 326 HGB) durch eine offenbar sehr laxe Handhabung des Bundesamtes für Justiz (BFJ) im Zusammenwirken mit dem Betreiber des (elektronischen) Bundesanzeigers (BA) noch weiter herunter geschraubt werden. Erst unlängst musste ich wieder feststellen, dass der Betreiber des BA erst auf meinen Hinweis hin das BFJ von der Nichtoffenlegung des Jahresabschlusses 2008 durch eine (kleine) AG informierte. Zu diesem Zeitpunkt war die Frist für die Offenlegung (konkret gem. § 325 HGB: 31.12.2009) jedoch schon über 6 Monate (!) abgelaufen. Das BfJ leitete nach einer weiteren Verzögerung von mehreren Wochen das Ordnungsgeldverfahren gegen die AG ein. Dies bedeutet in concreto jedoch nur, dass eine weitere Offenlegungsfrist von 6 Wochen gewährt wird (§ 335 Abs. 3 HGB). Daraufhin wurde der JA 2008 im Oktober 2010 offengelegt und anschließend im Bundesanzeiger veröffentlicht, ohne dass ein Ordnungsgeld verhängt wurde. Dass es sich hierbei wohl nicht um eine Ausnahme handelt, bestätigte sich in der vergangenen Woche. Der JA 2008 einer (kleinen) GmbH wurde durch diese erst Ende September offengelegt und im Oktober 2010 im BA veröffentlicht. Man kann davon ausgehen, dass diese Verwaltungspraxis den betroffenen Unternehmen resp. deren Wirtschaftsprüfern mittlerweile bekannt ist. Ein wesentliches Ziel der Offenlegungspflicht von Kapitalgesellschaften läuft damit aber vollkommen leer. Was soll ein (zukünftiger) Gläubiger im Oktober 2010 denn noch mit Zahlen vom 31.12.2008 anfangen? Die behauptete Unverhältnismäßigkeit der Verwaltungspraxis im Ordnungsgeldverfahren folgt nach meiner persönlichen Erfahrung deshalb bereits aus der offensichtlichen Ungeeignetheit der gesamten Regelung. Wenn man gedenkt, den Gläubigerschutz weiterhin derart sträflich zu vernachlässigen, dann kann und sollte man sich und den betroffenen Unternehmen das Verfahren in der Tat ersparen! Neue Richterstellen benötigen wir für diese Farce jedenfalls nicht.
Hallo Tino Glass,
haben Sie jemals selbst ein Unternehmen gegründet oder geführt? Wissen Sie eigentlich, was ein Klein(st)unternehmen ist und was es in der Praxis für denjenigen, der bspw. 2 Arbeitsplätze schafft, bedeutet, derart sinnentleere Vorschriften erfüllen zu müssen? Auf unsere Bilanz gibt uns niemand Geld, weil wir per se zu klein sind, da hilft auch die Offenlegung nicht. Aber eine Offenlegung ohne Steuerberater ist so gut wie unmöglich (haben Sie mal versucht, die XML-Formulare des Unternehmensregisters zu bewältigen?), so dass das ganze für Klein(st)unternehmen nicht nur eine personelle, sondern mal wieder finanzielle Belastung darstellt, der für schützenswerte Kreise (ein „künftiger Gläubiger”, was auch immer Sie damit meinen mögen, ist da nicht umfasst) bei dieser Unternehmensart keinen messbaren Vorteil ergibt.
Hallo Herr Unternehmer,
gesetzlich geschaffene Transparenz ist meines Erachtens ein (!) notwendiges und taugliches Korrelat der kapitalgesellschaftsrechtlichen Beschränkung der Haftung (vgl. für die GmbH § 13 Abs. 2 GmbHG). Die Angaben in einem (zeitnah) veröffentlichten Jahresabschluss können dem Bilanzkundigen grundsätzlich einen Überblick über die Vermögens- und Finanzlage der Gesellschaft vermitteln und enthalten oftmals auch weitere Anhaltspunkte, welche einem (potentiellen) Gläubiger vor und nach Vertragsschluss sowie in Vorbereitung einer Zwangsvollstreckung dienlich sein können. Ob die konkrete gesetzliche Pflicht zur Offenlegung des Jahresabschlusses in den §§ 325 ff. HGB und deren praktische Handhabung hingegen zu einer wirklichen Verbesserung des Gläubigerschutzes (Schutzsubjekte: gegenwärtige und zukünftige Gläubiger) beitragen, wagte ich bereits zu bezweifeln und hatte in diesem Zusammenhang über eigene aktuelle Erfahrungen berichtet. Im Übrigen gestattet die derzeitige Rechtslage auch Kleinunternehmern den Markteintritt, ohne diese anschließend den betreffenden Rechnungslegungspublizitätspflichten zu unterwerfen (vgl. z.B. für die Offenlegungspflichten von Personenhandelsgesellschaften und Einzelkaufleuten die hohen Schwellenwerte in § 1 Publizitätsgesetz). Dafür müsste der Kleinunternehmer freilich auf das Privileg der Haftungsbeschränkung verzichten. Ich selbst bin Gründungsgesellschafter einer OHG und hafte damit persönlich für sämtliche Verbindlichkeiten meiner Gesellschaft (§ 128 HGB). Es gibt in Deutschland sogar gestandene Unternehmerpersönlichkeiten, die eine Rückkehr zum Grundsatz der persönlichen Haftbarkeit des Unternehmers propagieren. Als rechtspraktisches Beispiel sei hierbei der Chef des Bekleidungsherstellers Trigema, Wolfgang Grupp, genannt, der erst unlängst den Rechtsformwechsel seines Unternehmens von der Trigema GmbH & Co. KG in die Trigema Inh. W. Grupp e. K. bekannt gegeben hat (http://www.focus.de/finanzen/news/unternehmen/bekleidungshersteller-trigema-chef-haftet-mit-seiner-eigenen-villa_aid_577683.html). Eine gänzliche Abschaffung der kapitalgesellschaftsrechtlichen Haftungsbeschränkung lässt sich m.E. insbesondere unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht überzeugend vertreten. Ich hielte jedoch — gerade vor dem Hintergrund der nach wie vor ernüchternden Insolvenzstatistik (vgl. für das Jahr 2009 die entsprechenden Angaben im Statistischen Jahrbuch 2010, S. 501 ff., abrufbar unter
http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/SharedContent/Oeffentlich/B3/Publikation/Jahrbuch/StatistischesJahrbuch,property=file.pdf) und der unlängst durch das MoMiG (GmbH-Novelle 2008 mit der Einführung der UG (haftungsbeschränkt) etc.) tendentiell bewirkten Absenkung des Gläubigerschutzniveaus — einen generellen Verzicht auf die gesteigerten Offenlegungspflichten bei sog. Kleinunternehmen für ebenso kontraproduktiv bzw. ein falsches Signal (siehe zur Erwägung einer diesbezüglichen Option für die Mitgliedstaaten den RiL-Vorschlag der EU-Kommission zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG v. 26.02.2009, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/accounting/docs/news/legal_proposal_de.pdf). Allenfalls sollte man eine temporäre Freistellung echter (!) Klein-Kapitalgesellschaften (ferner wohl auch GmbH & Co. KG etc.) ab Gründung in Betracht ziehen. Nichtsdestotrotz würde zumindest das Finanzamt auf die Einreichung der Steuerbilanz und der GuV-Rechnung bestehen.