Über den ADAC e.V. wird aktuell eifrig diskutiert. In etlichen Stellungnahmen ist von Intransparenz und Verkrustungen die Rede. Zum konkreten Anlass soll hier nichts gesagt, sondern der Blick auf die „Struktur” gelenkt werden. Es stellen sich wenigstens zwei Fragen: Ist der Idealverein die richtige Rechtsform für die Holding einer Unternehmensgruppe und kann das Vereinsrecht des BGB eine hinreichende Corporate Governance für eine Konzernspitze bieten?
Der ADAC erklärt auf seiner Internetseite, er sei „ein Verein, der wie ein Unternehmen geführt wird” und gibt eine „Unternehmensdarstellung” als „Mobilitätsdienstleister Nummer eins in Deutschland und Europa”. Die unternehmerischen Tätigkeiten erfolgen durch die ADAC Beteiligungs-GmbH, die wiederum Tochtergesellschaften führt (Versicherungen, Autovermietung, Finanzdienste, Reisevermittlung). Diese Unternehmungen erzielten 2012 einen Umsatz von über 1 Milliarde Euro (Gewinn 85 Millionen)!
1. Der Idealverein als Konzernspitze wurde vor über 30 Jahren durch ein umstrittenes Urteil des BGH ermöglicht. Der I. Zivilsenat (I ZR 88/80; DB 1982, 2688) befand 1982 in einer wettbewerbsrechtlichen Entscheidung, die Auslagerung unternehmerischer Aktivitäten auf Tochter-Kapitalgesellschaften sei vereinsrechtlich unbedenklich. Wegen der rechtlichen und organisatorischen Trennung zwischen Verein und Kapitalgesellschaft könne der von dieser unterhaltene Geschäftsbetrieb dem Verein nicht als eigener zugerechnet werden und lasse dessen Status als nichtwirtschaftlicher Verein unberührt.
Zur öffentlichen Rechnungslegung ist der Holdingverein nicht verpflichtet, so das LG München I (Beschl. v. 30.8.2001, DB 2003, 1316). Der ADAC habe keine Unternehmenseigenschaft i. S. d. § 11 PublG. Der Unternehmensbegriff des PublG stelle auf eine eigene erwerbswirtschaftliche Betätigung ab. Der ADAC werde „auch nicht dadurch zum Unternehmen, weil er Gesellschafter mehrerer Kaufleute (…) ist”.
In der Fachliteratur hat Dieter Reuter im Münchener Kommentar zum BGB seit jeher vehement widersprochen. Der Autor führt Gesichtspunkte des Gläubigerschutzes, des Mitgliederschutzes und der „Sozialpflichtigkeit” (insbes. Mitbestimmung) gegen Holdingvereine an. Schließlich hofft er, dass der BGH, „namentlich der für das Vereins- und Gesellschaftsrecht eigentlich zuständige II. Senat, Gelegenheit zu einer nochmaligen, weniger problemblinden Stellungnahme hat” (6. Aufl. 2012, § 21 Rn. 51).
In der Tat ist wenig einsichtig, dass ein Verein, „dessen Zweck nicht auf eine wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist” (§ 21 BGB) ohne jede Begrenzung ein wirtschaftliches Imperium aus Tochtergesellschaften aufbauen kann. Die Konstruktion ist vereins- und konzernrechtlich hoch problematisch.
Zum Ganzen Leuschner, Das Konzernrecht des Vereins, 2011.
2. Auch die interne Organisation ist angesichts der schieren Größe problematisch. Der ADAC hat nach eigenen Angaben fast 19 Millionen Mitglieder. Eine normale Versammlung, die allen Mitgliedern zugänglich ist, scheidet ersichtlich aus. Vielmehr gibt es eine Hauptversammlung (HV) als „das oberste Organ des Clubs” (§ 11 Satzung). Sie wird aus Delegierten gebildet, welche von den Mitgliederversammlungen der Gaue (Regionalvereine) bestellt werden. Die HV wählt das Präsidium, das wiederum die Geschäftsführung bestellt und anweist (§ 20 Satzung). Zusätzlich gibt es einen Verwaltungsrat mit eigenartiger Zuständigkeit (§ 12 Satzung), den neben dem Präsidium die Vorsitzenden der Gaue bilden.
Die in der aktuellen Debatte erhobene Forderung, die Lenkungsstrukturen der Aktiengesellschaft auf bestimmte Großvereine anzuwenden, ist zu vordergründig. Entscheidend ist, ob und wie der Mitgliedereinfluss bei mehrstufigem Vereinsaufbau zum Tragen kommt und dass hinreichend Informationen zugänglich sind. Hier trifft man das aus der Aktiengesellschaft bekannte Phänomen der „rationalen Apathie” des einfachen Mitglieds. Wieso soll sich ein Mitglied des ADAC, dem an einer wirksamen Pannenhilfe gelegen ist, um die Vereinsangelegenheiten kümmern? Bei einem nach Millionen zählenden Mitgliederbestand ist einsichtig, dass die Macht bei einem Kreis von Funktionären und besonders Engagierten liegt, die sich in den Vereinsorganen selbst berufen und ergänzen.
Das Vereinsrecht des BGB ist als für „Skat‑, Kegel- Rauch- und Saufvereine” konzipiert bezeichnet worden (Reichstagsabgeordneter Stadthagen, 1896). Die Großvereine der damaligen Zeit (Gewerkschaften!) waren schon damals (z.T. bewusst) nicht erfasst. Heute kann man der Problematik des Großvereins kaum mehr ausweichen. Transparenz, Trennung von ideeller und geschäftlicher Tätigkeit, Rechnungslegung und Kontrolle sind Stichworte für die wissenschaftliche und rechtspolitische Diskussion. Dann hat auch der gegenwärtige Shitstorm beim ADAC sein anregend Gutes.
(Beitrag ebenfalls erschienen im Handelsblatt-Rechtsboard)
Lieber Herr Noack,
dass das Vereinsrecht in mancherlei Hinsicht der Existenz vor Großvereinen wie dem ADAC nicht hinreichend Rechnung trägt, ist sicherlich zutreffend (vgl. z.B. die nicht auf ehrenamtliche Organmitglieder beschränkten Privilegierungen im Zusammenhang mit dem Insolvenzantrag und dem Zahlungsverbot, dazu mein Beitrag in ZHR 175 (2011), 787 ff.). Auch mag man darüber nachdenken, inwieweit Strukturen wie die des ADAC wohlfahrtsökonomisch sinnvoll sind.
In meiner von Ihnen erwähnten Habilitationsschrift, lege ich jedoch dar, dass unter dem Gesichtspunkt der Vereinsklassenabgrenzung (§§ 21, 22 BGB) nichts gegen eine wirtschaftliche Betätigung von Vereinen in (als Kapitalgesellschaften organisierten) Töchtern spricht (S. 126 ff.). Die Kritik am ADAC-Urteil ist insoweit unberechtigt. Die Haftungssegmentierung trägt den Interessen der Gläubiger des Vereins ausreichend Rechnung. Warum nach h.L. etwas anderes gelten soll, wenn der Verein über herrschenden Einfluss verfügt, erschließt sich mir nicht (nebenbei bemerkt: hätte die h.L. recht, wäre die viel diskutierte 50+1‑Regel der Deutschen Fußball-Liga rechtlich nicht umsetzbar). Bekanntermaßen lässt sich ein faktischer AG- oder GmbH-Konzern ohne weiteres so führen, dass man sich als Mutter nicht persönlich haftbar macht. Die von Reuter stammende Behauptung, die Vereinsklassenabgrenzung diene neben dem Gläubiger- auch dem Mitgliederschutz (und noch vielem mehr), ist durch nichts belegt und auch nicht plausibel, weil ein entsprechendes Schutzbedürfnis nicht besteht: Wer in einen Verein eintritt, weiß was er tut. Niemand wird ADAC-Mitglied und wundert sich anschließend, dass er an dessen Gewinnen nicht in Form von Dividendenzahlungen beteiligt wird.
Mit besten Grüßen,
Lars Leuschner
Lieber Herr Leuschner,
ich habe den Hinweis auf Ihre Schrift textlich abgesetzt und anders benannt („zum Ganzen”),damit nicht der Eindruck entsteht, Sie stünden für die Gegenmeinung.
Beste Grüße
Ihr Ulrich Noack
Auch die Regierungskommission Corporate Governance hatte im Jahr 2000 versucht, die Frage der wirtschaftlich tätigen Idealvereine anzuschieben. In dem seinerzeit versandten Fragenkatalog wollte die Regierungskommission u.a. wissen, „ob der Gesetzgeber die wirtschaftliche Betätigung von Idealvereinen im stärkeren Umfang als bisher beschränken” sollte und „ob sich Maßnahmen zur Verbesserung der Verwaltungskontrolle und Transparenz in wirtschaftlich tätigen (Groß-)Vereinen empfehlen” (der Fragenkatalog ist abgedruckt bei Baums [Hrsg.], Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, S. 337). Hinter vorgehaltener Hand hieß es damals, dass die Regierungskommission insbesondere den ADAC in Blick hätte.
Seinerzeit verlief die Diskussion dann doch im Sande, auch wohl, weil sich der Großteil der befragten Sachverständigen und Verbände zu diesen Fragen der Regierungskommission nicht (oder allenfalls nur recht pauschal) geäußert hatte. Man darf gespannt sein, wie sie heute verlaufen wird!