Im Herbst muss das Frühjahr vorbereitet werden. Die Rede ist nicht vom Gärtner, sondern vom Planer der Hauptversammlung 2013. In der kommenden Saison sind zahlreiche neue Aufsichtsräte zu wählen. Wer sind die Kandidaten? Anders als im politischen Wahljahr 2013 gibt es, von Ausnahmen abgesehen, keinen Wahlkampf um das Amt. Dennoch wollen und sollen die Aktionäre wissen, wen sie in das Gremium bestellen. Von Gesetzes wegen sind Name, ausgeübter Beruf und Wohnort mitzuteilen (§ 124 Abs. 3 AktG). Bei börsennotierten Gesellschaften kommen noch Angaben über Mitgliedschaften in anderen Aufsichtsräten dazu (§ 125 Abs. 1 AktG). Damit gewinnt man ein ungefähres, aber noch bruchstückhaftes Bild vom künftigen Mandatsträger. Der Deutsche Corporate Governance Kodex hat das Defizit erkannt und empfiehlt seit Juni 2012: „Der Aufsichtsrat soll bei seinen Wahlvorschlägen an die Hauptversammlung die persönlichen und die geschäftlichen Beziehungen eines jeden Kandidaten zum Unternehmen, den Organen der Gesellschaft und einem wesentlich an der Gesellschaft beteiligten Aktionär offen legen.” Diese Empfehlung 5.4.1. hat es in sich, denn was sind wohl „persönliche und geschäftliche Beziehungen”?
Persönliche Beziehungen — ein weites Feld! Die alte Freundschaft aus Studienzeiten, eine Mitgliedschaft im selben exklusiven Club, eine Patenschaft für die Kinder kann bei natürlichem Wortverständnis schon darunter fallen. Ersichtlich wäre so kaum ein Halten, die Begründung des Wahlvorschlags würde boulevardesk. Daher sollte man sich an Rechtsregeln orientieren, die Aussagen über persönliche Zusammenhänge treffen. „Nahestehende Personen” benennt § 138 InsO; Personen, die mit einer anderen in einer „engen Beziehung” stehen, erfasst § 15a III WpHG. Danach bestehen offenzulegende Beziehungen zwischen dem Kandidaten und seinem Ehepartner, den unterhaltsberechtigten Kindern und Verwandten, die seit mindestens einem Jahr im Haushalt leben – sofern diese Personen wesentlich an der Gesellschaft beteiligt sind, also über mehr als 10% der Stimmrechte verfügen. Und das Ganze muss einen objektiv urteilenden Aktionär interessieren, fügt der Kodex erläuternd hinzu (5.4.1. Abs. 5).
Die geschäftlichen Beziehungen sind noch schwieriger zu erfassen. Es geht ja nicht (nur) um Geschäfte zu Sonderkonditionen, sondern auch um übliche Markttransaktionen. Hier stellt sich zunächst die Frage, ob die Geschäfte gerade mit dem Kandidaten laufen oder über dessen „Haus” (Bank, Kanzlei). Der Sinn der Offenlegung deutet auf das Letztere hin. Die betreffende Personen wäre also so anzukündigen: „X ist Partner der X, Y, Z- Anwaltskanzlei, die unser Unternehmen in Rechtsfragen berät”.
Die Kodexkommission hat mit der vagen Angabe „geschäftlicher Beziehungen” eine schwer zu handhabende Empfehlung in die Welt gesetzt. Eine Orientierung an Rechtsvorschriften fällt weg, da diese entweder nicht existieren oder eine ganz andere Zielrichtung haben (etwa § 312 I AktG). Mit Blick auf den objektiv urteilenden Aktionär kann es nur um Geschäfte gehen, die von erheblicher Bedeutung für das Unternehmen sind. Der Umstand, dass der Kandidat für den Aufsichtsrat einer Automobil-AG von ihr einen PKW erworben hat, zählt dazu gewiss nicht, wohl aber der Sachverhalt, dass er ein Partner großvolumiger Leasinggeschäfte im Mietwagensektor ist.
Eine praktisch wichtige Frage ist, wie der Aufsichtsrat die empfohlene Offenlegung umsetzt. Der Kodex spricht davon, dies habe „bei seinen Wahlvorschlägen an die Hauptversammlung” zu geschehen. Die Wahlvorschläge sind in der Einberufung zu unterbreiten. Damit würde die Einberufung freilich um Texte aufgebläht, die nicht von Gesetzes wegen verlangt sind. Bei umstrittenen Einschätzungen der persönlichen und geschäftlichen Beziehungen besteht auch die Gefahr, dass eine Irreführung durch die Einberufung behauptet und als Anlass für eine Anfechtung genommen wird. Daher sollte besser die Internetseite der Gesellschaft für derartige zusätzliche Informationen gewählt werden. Die börsennotierte Gesellschaft ist sowieso gehalten, allerlei Wissenswertes zur Hauptversammlung auf ihrer Seite zu präsentieren (§ 124a AktG), weshalb es sich anbietet, die Wahlvorschläge dort entsprechend der Kodexempfehlung zu erläutern.
Mit Blick auf geschäftliche Beziehungen i.S.v. Ziff. 5.4.1 Abs. 4 DCGK stellt sich aus meiner Sicht noch eine wichtige Folgefrage: In welcher Tiefe und Dichte muss der Aufsichtsrat derartige Beziehungen beschreiben? Reicht es z.B. aus, wenn er auf die Existenz eines Kreditvertrags zwischen dem Kandidaten und der Gesellschaft hinweist? Oder muss er zusätzlich die Höhe des Kredits, den vereinbarten Zins, die Laufzeit, den Verwendungszweck, etwaige Sicherheiten, etwaige Kündigungsrechte und andere Eckpunkte der Vereinbarung bezeichnen, um der Empfehlung zu genügen? Ähnliche Überlegungen lassen sich für Anstellungs‑, Arbeits‑, Beraterverträge und sonstige typische Rechtsbeziehungen anstellen.
Zwar hatte die Regierungskommssion gewiss nicht die Absicht, dass der Aufsichtsrat den maßgeblichen Vertrag im vollen Wortlaut offenlegt. Das wäre nämlich in der Regel schon aus Gründen des Persönlickeitsschutzes des Kandidaten hoch problematisch. Des Weiteren werden oft Geheimhaltungsinteressen bzw. ‑pflichten der Gesellschaft entgegenstehen, etwa bei der Beschreibung des genauen Gegenstands eines Beratervertrags, der vertrauliche Gesellschaftsinterna betrifft. Es dürfte aber auch nicht richtig sein, dass die Tiefe und Dichte der Informationen im freien Belieben des Aufsichtsrats steht. Das folgt schon aus Ziff. 5.4.1 Abs. 5 DCGK. Denn diese Bestimmung kombiniert ohne klare Linie subjektive („nach Einschätzung des Aufsichtsrats“) und objektive Perspektiven („objektiv urteilender Aktionär“). Welche dieser Perspektiven im Ergebnis den Ausschlag gibt, muss derzeit als offen gelten.
Fazit: Die neue Empfehlung zur Offenlegung persönlicher und geschäftlicher Beziehungen leidet in verschiedener Hinsicht unter handwerklichen Mängeln. Letztlich ist für den Adressaten nicht erkennbar, was er genau tun muss, um dem Kodex zu genügen. Es ist absehbar, dass in der kommenden HV-Saison kritische Aktionäre diese offene Flanke nutzen werden. Die Diskussion in der laufenden Hauptversammlung bildet dabei das kleinere Problem. Wesentlich brisanter erscheint die Auseinandersetzung im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen Entlastungsbeschlüsse, die auf die Abgabe einer (angeblich) falschen Entsprechenserklärung gestützt wird. Vor diesem Hintergrund spricht Einiges dafür, die neue Empfehlung erst gar nicht umzusetzen und diesen Umstand in der Entsprechenserklärung offen zu kommunizieren; näher dazu Wilsing/von der Linden, DStR 2012, 1391, 1392 f.