Die Problematik der weiten Zuständigkeit amerikanischer Gerichte für Schadensersatzklagen war bereits Gegenstand eines Vortragsabends des Forums Unternehmensrechts. Hierdurch können deutsche Unternehmen auch bei geringfügigsten Verbindungen in den Vereinigten Staaten nach dem dort geltenden Prozessrecht (Class Action, Jury) in Anspruch genommen werden sowie möglicherweise (je nach Beurteilung der in den meisten Einzelstaaten für das IPR maßgeblichen „Interessenlage”) auch nach dem dortigen materiellen Recht, etwa punitive damages haften.
Mit Spannung wurde daher die Klärung der Vereinbarkeit dieser Praxis mit den deutschen Grundrechten durch das Bundesverfassungsgericht erwartet. Diese Klärung schien schon in greifbarer Nähe, da ein entsprechendes Verfahren des Bertelsmann beim Bundesverfassungsgericht anhängig war, und bereits eine einstweilige Verfügung gegen die Zustellung einer Sammelklage ergangen war. Gegenstand der Klage der US-Musikindustrie gegen Bertelsmann waren Schadensersatzforderungen von fast 20 Milliarden US-$ wegen einer Beteiligung an der Tauschbörse Napster. Trotz des Teilerfolges im einstweiligen Rechtsschutz hat der Bertelsmann-Konzern nun vor der Entscheidung in der Hauptsache die Verfassungsbeschwerde zurückgenommen. Bertelsmann begründet die Rücknahme damit, dass eine Entscheidung zu ihren Gunsten in Deutschland die US-Gerichte kaum beeindrucken dürfte.
Rein praktisch ist ein global agierendes Unternehmen in der Tat in einer Zwangslage: Wenn die Klage nach Ansicht des BVerfG in Deutschland nicht wirksam zugestellt werden kann, kann dies schon aus Territorialitätsgründen keine Wirkung in den USA entfalten — insofern wäre dies erst einmal für den Fortgang des Prozesses egal. Sollte Bertelsmann dann (zweckmäßigerweise) im Prozess auftreten und sich gegen die Vorwürfe verteidigen, würden etwaige Zustellungsfehler ohnehin als geheilt gelten. Ergeht ein Versäumnisurteil in Abwesenheit des Beklagten, kann dieses wohl nicht in Deutschland vollstreckt werden (wegen Verstoßes gegen Art. 103 GG) — aber eine Vollstreckung in den USA wäre problemlos wirksam (denn der Beklagte wurde über den gegen ihn angestrengten Rechtsstreit hinreichend informiert). Sobald Bertelsmann (als global agierendes Unternehmen) Vermögen in den USA erwirbt, würde dieses der Zwangsvollstreckung zugunsten der Kläger unterliegen.
Insoweit können deutsche Gerichte keinen wirksamen Schutz in einer globalen Wirtschaft gewähren, da ihre Macht außerhalb der deutschen Grenzen endet. International tätige Unternehmen sehen sich daher der rechtsprechenden Gewalt aller Länder ausgesetzt, in denen sie tätig sind.
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