„Pflichtwidriges, kompetenzüberschreitendes Organhandeln des Vorstands und des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft bei der Ausnutzung eines genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsausschluss (§§ 203, 204 AktG) kann der in seinen Mitgliedschaftsrechten beeinträchtigte Aktionär zum Gegenstand einer gegen die Gesellschaft zu richtenden allgemeinen Feststellungsklage (§ 256 ZPO) machen”. So sieht es der BGH im Urteil vom 10.10.2005 — II ZR 90/03.
Worum ging es? Der Vorstand der Commerzbank beschloss, in Nutzung eines genehmigten Kapitals (§ 202 AktG) das Grundkapital der Gesellschaft zu erhöhen. Das Bezugsrecht der Aktionäre wurde ausgeschlossen. Der Aufsichtsrat stimmte zu. Die Kapitalerhöhung wurde kurz darauf durchgeführt und im Handelsregister eingetragen. Der klagende Aktionär begehrt festzustellen, dass die Beschlüsse von Vorstand und Aufsichtsrat „unwirksam“ sind. Das Problem ist, ob und gegebenenfalls wie sich ein Aktionär gegen dieses Handeln der Verwaltung gerichtlich wehren kann.
Der Senat stellt zunächst klar, dass die für Beschlüsse von Hauptversammlungen geltenden Klagevorschriften der §§ 241 ff. AktG nicht auf Beschlüsse von Vorstand und Aufsichtsrat übertragen werden können (so bereits BGHZ 122, 342). Hingegen sei eine allgemeine Feststellungsklage gem. § 256 I ZPO statthaft. Sie ist gegen die Gesellschaft zu richten, „verfahrenstechnisch“ auf Feststellung der Nichtigkeit des Vorstands- bzw. des Aufsichtsratsbeschlusses. Diese Beschlusslage betrifft – wie der Senat einräumt – nicht ein unmittelbares Rechtsverhältnis zwischen Aktionär und Gesellschaft, aber es genüge, wenn der klagende Aktionär an der alsbaldigen Klärung des Drittverhältnisses (gemeint: Beschlusslage) ein rechtliches Interesse habe. Sollten Vorstand und Aufsichtsrat bei Ausschöpfung der erteilten Ermächtigung zur Kapitalerhöhung pflichtwidrig gehandelt haben, so sei es Sache der Gesellschaft, „durch ihre Organe Abhilfe zu schaffen“. Wie dies geschehen soll, da doch Vorstand und Aufsichtsrat die angesprochenen Organe sind, bleibt freilich im Dunkeln. Dass die Feststellung der Rechtswidrigkeit vor einem künftigen identischen Fehlverhalten schützt, mag durchaus sein – aber jeder Fall liegt anders, und so wird die Begründung für einen Ausschluss des Bezugsrechts auch eine andere sein. Der eingetretene Schaden könne auf der Grundlage eines Feststellungsurteils kompensiert werden, heißt es in dem Urteil weiter (unter II 2 b). Wie das? Die Gesellschaft, vertreten durch den Vorstand, darf eine Kapitalverwässerung durch Zahlungen an den benachteiligten Aktionär wegen § 57 AktG nun einmal nicht ausgleichen (näher Cahn, ZHR 164 [2000], 113 [149]). Allenfalls für das (im Urteil nicht erwähnte) Klagezulassungsverfahren gem. § 148 AktG könnte ein Feststellungsurteil günstige Rechtswirkungen entfalten (s. insb. § 148 I 2 Nr. 3 AktG). Die vom BGH angesprochenen Anträge auf Nichtentlastung oder Abberufung von AR-Mitgliedern haben mit Mehrheiten in der Hauptversammlung zu tun; insoweit könnte ein Feststellungsurteil allenfalls Eindruck auf Unentschlossene machen.
Das gem. § 256 I ZPO erforderliche rechtliche Interesse des Kl. wird vom Senat auch kaum diskutiert. Vielmehr beschäftigt ihn der Nachweis, „dass es der Verfassung der Aktiengesellschaft entspricht, Aktionären in einer solchen Situation – zur Vermeidung ihnen sonst drohender Rechtsnachteile – auf dem Wege einer allgemeinen zivilprozessualen Klageform eine Art ‚Kontrollrecht’ zu verschaffen“. Schon diese Formulierung zeigt, dass es nicht um die zivilprozessualen Feinheiten geht, sondern eben um dieses eigenartige „Kontrollrecht“. Dafür argumentiert der Senat ganz vom Ergebnis her (krit. Bungert, BB 2005, 2757 f.: von reinen Wertungsgesichtspunkten geleitet). Die „Zulassung eines derartigen gerichtlichen Rechtsschutzes“ sei die Folge der Lockerung der präventiven Schranken bei der Schaffung genehmigten Kapitals (durch BGHZ 136, 133 = NJW 1997, 2815). Der Grundsatz der Subsidiarität einer Feststellungsklage gegenüber einer Leistungsklage finde auf die vorliegende Konstellation, bei der es gerade darum gehe, durch Zulassung dieser Klageart zur Schaffung gebotenen Rechtsschutzes eine Gesetzeslücke (!) zu schließen, keine Anwendung (unter II 2 e). Und es könne schwerlich von einer Störung der aktienrechtlichen Zuständigkeitsordnung gesprochen werden, wenn die Klage eines Aktionärs gerade den Zweck haben soll, diese vom Vorstand verletzte Ordnung zu erhalten.
Letztere Argumentation würde auch dem Staatsbürger ein Klagerecht ermöglichen, um gegen einen Beschluss der Bundesregierung vorzugehen mit der Begründung, die grundgesetzliche Ordnung erhalten zu wollen. Dieses Gegenargument ad horrendum mag zeigen, was für eine schwere Begründungslast derjenige auf sich nimmt, welcher eine Gesetzeslücke behauptend dem korporativen Klagemenü einen weiteren Eintrag hinzufügen will. Wenn es anfangs im Urteil heißt, die Zulassung einer Anfechtungsklage gegen Vorstandsbeschlüsse würde „auf einen Systembruch des geltenden Aktienrechts“ hinauslaufen – wie anders verhält es sich mit einer Feststellungsklage? Denn ob für nichtig erklärt (Anfechtungsklage) oder die Rechtswidrigkeit konstatiert wird (Feststellungsklage): das begründet in der praktischen Wirkung keinen Unterschied.
Der BGH hat die Unterlassungsklage des einzelnen Aktionärs bei Kompetenzüberschreitungen im Verhältnis zwischen Vorstand und Hauptversammlung für möglich gehalten (BGHZ 83, 122 = NJW 1982, 1703; in casu freilich wegen Verfristung nicht durchgreifend). Nun billigt der heutige II. Zivilsenat eine Feststellungsklage betreffend die Ausnutzung eines genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsausschluss. Klagerechte von Aktionären im Hinblick auf Maßnahmen der Geschäftsführung werden seit den Zeiten des Reichsoberhandelsgerichts postuliert (ins zeitgenössische Gedächtnis zurückgerufen von Knobbe-Keuk, in: Festschr. f. Ballerstedt, 1975, S. 239), das sich freilich mit dem von ihm selten praktizierten Recht des einzelnen Aktionärs auf ein gesetz- und satzungskonformes Gebaren der Verwaltung fast hundert Jahre später ein „Prinzipien-Maulheldentum“ (Zöllner, ZGR 1988, 392, 422) vorhalten lassen musste. Das Urteil knüpft unausgesprochen an diese frühe gedankliche Linie an.
Man muss fragen, ob sich die Zulassung des „Kontrollrechts“ auf die Ausnutzung genehmigten Kapitals beschränkt oder ob das Tor für die Überprüfung weiterer Geschäftsführungsakte geöffnet ist. Denn das Mitglied könnte etwa verdeckte Ausschüttungen geltend machen und folgern, das sei ein Eingriff in die Finanzverfassung, zu deren Bewahrung und damit auch zum Schutz seiner Vermögensrechte es den Rechtsstreit führe (K. Schmidt, GesellschaftsR, 4. Aufl. [2002], S. 650). Für eine Beschränkung spricht die Argumentation des Senats, die Zulassung des Feststellungsklagerechts sei eine Konsequenz der Erleichterung durch „Siemens/Nold“. Gegen eine gelingende Eingrenzung spricht freilich der allgemeine Ansatz des Senats, den Einzelaktionär bei unterstelltem Versagen des aktienrechtlichen Kontrollsystems mit der Ersatzaufsicht zu betrauen.
Des Weiteren ist unklar, wie mit mehreren Feststellungsklagen umzugehen ist. Eine auf § 249 AktG gestützte „Gestaltungswirkung für und gegen jedermann“ lehnt der Senat ab. Das ließe also Raum für einander widersprechende Urteile.
Nachdem höchstrichterlich eine besondere aktienrechtliche Feststellungsklage praeter legem eingeführt worden ist, bleibt für die Praxis, deren Begründetheit durch eine penible Dokumentation und Absicherung durch „externe Berater“ (Bungert, BB 2005, 2757 f.) zu begegnen – Beschäftigungssicherung also für Juristen.
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