Die Vorgänge bei der HV der Infineon AG sind dem Außenstehenden wenig durchsichtig. Der von Aktionären vorgeschlagene Kandidat für den AR ist „durchgefallen”, während die von der Verwaltung benannten Kandidaten gewählt wurden. Zunächst wurde der oppositionelle Antrag gem. § 137 AktG mit großer Mehrheit (64%) unterstützt. Es stand also die Wahl des von Aktionären Vorgeschlagenen vor der Abstimmung über die anderen Kandidaten an. Für ihn stimmten dann aber nur 27%. „Viele institutionelle Aktionäre im Ausland geben ihre Stimmen vorab über Plattformen wie die des US-Aktionärsdienstleisters Riskmetrics ab. Falls wie bei Infineon die Tagesordnung am Tag der Hauptversammlung geändert wird, ist fraglich, ob die Stimmen angepasst werden. So vermuten die Fonds um Anführer Hermes sowie VIP, dass dies bei dem Gegenantrag für Berchtold nicht passiert ist. Gab es keine Weisung, wurde eine Stimme aber automatisch als Nein gewertet.” (FTD). Die VIP (Vereinigung Institutionelle Privatanleger) schreibt in einem Rundbrief: „Sehr ungewoehnlich im deutschen Usus wurde das Abstimmungszaehlverfahren waehrend der HV zwei mal geaendert. Die Abstimmungsarithmethik brachte auch altgediente Banker in heftige Schwierigkeiten. Kein Kopfzerbrechen gab es dagegen fuer das Establishment und ihre Berater, denn sie kannten das Ergebnis schon vor der Einsammlung der Stimmen, lagen doch mind. Dreiviertel der Stimmen ausserhalb des Saales im virtuellen Raum und waren diese schon auf die Abstimmung interpretiert. Tatsaechlich wurde durch die Festlegung des Versammlungsleiters, nur Ja- und Enthaltungsstimmen zu sammeln, jeder Abwicklungsfehler und jede Interpretationschance zugunsten eines NEIN (gleich pro Verwaltungs-Vorschlag) ausgeuebt.” — Wie auch immer sich das in dem konkreten Fall abgespielt hat, er macht auf ein Problem aufmerksam, das bei Kampfabstimmungen taktisch durchaus entscheidend sein kann: Der Vorstand kennt durch den gesellschaftsbenannten Vertreter vorab das Stimmverhalten weiter Aktionärskreise. Anpassungen der Tagesordnung oder Umstellungen im Abstimmungsverfahren können dazu führen, dass der strikt („wie ein Bote”) weisungsgebundene Vertreter keine Klarheit mehr darüber hat, ob und wie er für den vertretenen Aktionär zu agieren hat (flexibler sind insoweit Kreditinstitute und Aktionärsvereinigungen, s. § 135 Abs. 3 AktG). Mit Blick auf die neue Möglichkeit der Briefwahl (§ 118 Abs. 2 AktG) stellt sich diese Problematik noch schärfer. Der Informationsvorsprung der Verwaltung verbunden mit ihrer relativen Hoheit über das TO- und Abstimmungsprozedere entpuppt sich so als Governance-Schwachstelle.
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