§ 76 Abs. 1 AktG ist eine klare und kurze Bestimmung: „Der Vorstand hat unter eigener Verantwortung die Gesellschaft zu leiten”. In Berlin gibt es Bestrebungen, die Normen mit einer ausdrücklichen Bindung des Vorstands an das Gemeinwohl und die Arbeitnehmerinteressen zu ergänzen. Der DGB hat zur rechtswissenschaftlichen Fundierung ein Gutachten von Prof. Dr. Gerald Spindler (Göttingen) vorgelegt. Spindler kommt dort zu dem Ergebnis, dass „der Vorstand einen gewissen Ermessensspielraum bei der Konkretisierung der Unternehmensziele (genießt), solange eine langfristige Rentabilität der Gesellschaft gesichert ist. Er darf in diesem Zusammenhang zwar den Shareholder Value beachten, aber er hat stets auch auf Arbeitnehmerinteressen und Belange des Gemeinwohls Rücksicht zu nehmen.” Soweit so gut. Keine ernst zu nehmende Stimme in der Rechtswissenschaft plädiert für eine Auslegung nur an der kurzfristigen Gewinnoptimierung. Auch die Einbindung in eine (nicht ökologisch verengt verstandene) Umwelt ist für das Unternehmenswohl doch selbstverständlich.
Aber: Aus der Diskussion um die Einfügung sogenannter Staatszielbestimmungen in das Grundgesetz wissen wir, dass gut gemeint nicht gut gemacht sein muss. Gegen die Aufladung des § 76 AktG mit der Trias Anteilseigner, Arbeitnehmer, Gemeinwohl kann man heute gewiss nicht den Anklang an die verpönte Formulierung von 1937 („der gemeine Nutzen von Volk und Reich”) vorbringen. Doch sie würde nutzlose Phrase sein, wenn das Gesetz nicht auch eine Gewichtung vorgibt, was kaum vorstellbar ist. Wie soll eine gleichzeitige Maximierung von drei Zielen gelingen? Im Ergebnis hätten wir ein Topmanagement, das mal die eine, mal die andere Begründung für sein Tun und Lassen nimmt („too many masters”), und damit letztlich den Freibrief genießt, niemand wirklich verantwortlich zu sein. Und der Gutachter Spindler sagt selbst: „Maßgeblich ist die grundlegende rechtspolitische Frage, ob man die Berücksichtigung von Arbeitnehmerinteressen gesetzlich zwingend verankern will. Die Antwort entzieht sich einer rechtswissenschaftlichen Entscheidung.” Ich meine, man sollte die Norm lassen wie sie ist.
Zur Rechtslage in England (s. 172 (1) (b) Companies Act 2006):
(1) A director of a company must act in the way he considers, in good faith, would be most likely to promote the success of the company for the benefit of its members as a whole, and in doing so have regard (amongst other matters) to—
…
(b) the interests of the company’s employees,
…
Anders noch s. 309 (1) Companies Act 1985:
(1) The matters to which the directors of a company are to have regard in the performance of their functions include the interests of the company’s employees in general, as well as the interests of its members.
Exemplarisch zur Rechtslage in vielen US-Bundesstaaten § 717 (b) New York Business Corporation Law:
„In taking action, including, without limitation, action which may involve or relate to a change or potential change in the control of the corporation, a director shall be entitled to consider, without limitation, (1) both the long-term and the short-term interests of the corporation and its shareholders and (2) the effects that the corporation’s actions may have in the short-term or in the long-term upon any of the following:
(i) the prospects for potential growth, development, productivity and profitability of the corporation;
(ii) the corporation’s current employees;
(iii) the corporation’s retired employees and other beneficiaries receiving or entitled to receive re-tirement, welfare or similar benefits from or pursuant to any plan sponsored, or agreement entered into, by the corporation;
(iv) the corporation’s customers and creditors; and
(v) the ability of the corporation to provide, as a going concern, goods, services, employment oppor-tunities and employment benefits and otherwise to contribute to the communities in which it does business.”