Virtuelle Hauptversammlung 2020

Die vir­tu­elle Haupt­ver­samm­lung“ (neuer Geset­zes­be­griff) kommt ab April 2020. Heute hat das Bun­des­ka­bi­nett über einen für diese Woche geplan­ten Gesetz­ent­wurf der Koali­ti­ons­frak­tio­nen (For­mu­lie­rungs­hilfe) befun­den, der am Mitt­woch vom Bun­des­tag beschlos­sen wer­den soll. Das Gesetz über Maß­nah­men im Gesellschafts‑, Genossenschafts‑, Vereins‑, Stif­tungs- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht zur Bekämp­fung der Aus­wir­kun­gen der COVID-19-Pan­de­mie“ sieht vor, dass die Ver­samm­lung ohne phy­si­sche Prä­senz der Aktio­näre oder ihrer Bevoll­mäch­tig­ten als vir­tu­elle Haupt­ver­samm­lung abge­hal­ten wird“. Vor­aus­set­zun­gen sind: Bild- und Ton­über­tra­gung der gesam­ten Ver­samm­lung“ (die aber nur aus dem Vor­stand und dem Auf­sichts­rat besteht), die Stimm­rechts­aus­übung der Aktio­näre über elek­tro­ni­sche Kom­mu­ni­ka­tion (Brief­wahl oder elek­tro­ni­sche Teil­nahme) sowie Voll­machts­er­tei­lung mög­lich ist“ und den Aktio­nä­ren eine Fra­ge­mög­lich­keit im Wege der elek­tro­ni­schen Kom­mu­ni­ka­tion ein­ge­räumt wird“ (wohl­ge­merkt: eine Fra­ge­mög­lich­keit, nicht das strikte Aus­kunfts­recht des § 131 AktG). 

Die Ad-hoc-Fra­gen kön­nen aller­dings über­for­dern, zumal das Back­of­fice auch nicht wie im Nor­mal­fall mit vie­len Mit­ar­bei­tern bestückt ist. Daher kommt noch eine Vari­ante dazu: Der Vor­stand kann auch vor­ge­ben, dass Fra­gen bis spä­tes­tens zwei Tage vor der Ver­samm­lung im Wege elek­tro­ni­scher Kom­mu­ni­ka­tion ein­zu­rei­chen sind.“ Dann kann man die Ant­wor­ten vor­be­rei­ten, in der HV kön­nen keine neuen Fra­gen mehr online gestellt werden.

Und jetzt zur Gret­chen­frage: Was ist mit der Anfech­tung, etwa mit dem belieb­ten Hin­weis, diese oder jene Frage sei nicht zuge­las­sen bzw. nicht oder nicht hin­rei­chend beant­wor­tet wor­den? Das dürfte äußerst schwer­fal­len, der Vor­stand ent­schei­det nach pflicht­ge­mä­ßem, freiem Ermes­sen, wel­che Fra­gen er wie beant­wor­tet.“ Das Maß­nah­men­ge­setz führt zudem ein hohes Ver­schul­dens­er­for­der­nis ein: Nur wenn der Gesell­schaft Vor­satz nach­zu­wei­sen (ist)“ kann dar­auf eine Anfech­tung gestützt werden.

Für die GmbH, für Genos­sen­schaf­ten und Ver­eine sind ent­spre­chende Rege­lun­gen vor­ge­se­hen, was die vir­tu­elle Ver­samm­lung“ betrifft. So soll bei der GmbH eine Beschluss­fas­sung ohne Ver­samm­lung mög­lich sein auch ohne Ein­ver­ständ­nis sämt­li­cher Gesell­schaf­ter“. Die­ses von § 48 II GmbHG ver­langte all­sei­tige Ein­ver­ständ­nis (mit dem Beschluss­an­trag oder mit dem Beschluss­ver­fah­ren) ist also nicht mehr vonnöten.

Alle genann­ten Rege­lun­gen gel­ten für Haupt- bzw. Gesell­schaf­ter­ver­samm­lun­gen, die im Jahr 2020 stattfinden. 

2 Kommentare

  1. Die Rege­lun­gen im Gesetz­ent­wurf sind für die nicht-bör­sen­no­tier­ten Gesell­schaf­ten weit­hin nicht brauch­bar. (i) Die Rege­lung zu den Frist­ver­kür­zun­gen in Art. 2 § 1 Abs. 3 sind für die nicht-bör­sen­no­tierte AG bei­spiels­weise schlicht nicht umsetz­bar. Hier rächt es sich, dass der Record Date eben nur für bör­sen­no­tierte Gesell­schaf­ten gere­gelt ist. Vor­schlag: Dem Vor­stand der nicht-bör­sen­no­tier­ten AG sollte unge­ach­tet der Sat­zung das Recht ein­ge­räumt wer­den, im Rah­men der HV-Ein­la­dung von den Vor­schrif­ten der bör­sen­no­tier­ten AG Gebrauch zu machen. Ande­ren­falls blei­ben diese Gesell­schaf­ten im Regen ste­hen“. (ii) Wes­halb wird für die nicht-bör­sen­no­tierte AG nicht (wie für GmbH und eG, ja sogar den e.V.) aus­nahms­weise ein schrift­li­ches oder elek­tro­ni­sches Umlauf­ver­fah­ren für Beschluss­fas­sun­gen anstelle einer HV zuge­las­sen? Die klei­nen AG’s wer­den mit der Schaf­fung der vir­tu­el­len AG und den ver­kopf­ten, in der Umset­zung (auch finan­zi­ell) auf­wän­di­gen Rege­lun­gen des Ent­wurfs (§ 1 Abs. 2) dazu schlicht über­for­dert sein bzw. wer­den für diese im lfd. Jahr 2020 schlicht in praxi auch nicht die dafür benö­tig­ten Dienst­leis­ter beschaf­fen kön­nen. Vir­tu­elle HV’s im Do-It-Yourself“-Verfahren sind ange­sichts der Anfor­de­run­gen (s. nur Kubis in Münch­Komm-AktG, 4. Aufl., § 118 Rn. 87 ff.; Beck, RNotZ 2014, 160 ff.; Heck­schen in Beck’sches Notar-Hand­buch, 7. Aufl., § 23 Rn. 391 ff., teils eher zur Online-Teil­nahme, Kom­men­tie­run­gen für vir­tu­elle HV gleich­wohl brauch­bar) in praxi nicht machbar.

    Die Begrün­dung zu Art. 2 § 3 Abs. 1 (Genos­sen­schaf­ten) des Gesetz­ent­wurfs erscheint irre­füh­rend. Wer­den Beschlüsse der eG-Mit­glie­der rein schrift­lich oder elek­tro­nisch gefasst, so han­delt es sich nicht um eine vir­tu­elle“ Gene­ral- oder Ver­tre­ter­ver­samm­lung, son­dern prä­zise aus­ge­drückt um Beschluss­fas­sun­gen im schrift­li­chen oder elek­tro­ni­schen Ver­fah­ren (lei­der auch irre­füh­rend Brief­wahl“ genannt) ohne Abhal­tung einer Gene­ral-/Ver­tre­ter­ver­samm­lung. Zudem ist keine Ver­gleich­bar­keit zu dem für das Akti­en­recht geschaf­fe­nen Begriff der vir­tu­el­len Haupt­ver­samm­lung“ gege­ben (s. Art. 2 § 1 Abs. 2 Satz 1 des Ent­wurfs), was auch eini­ger­ma­ßen irre­füh­rend ist.

    Zur erfolg­ten Ver­öf­fent­li­chung des DCGK 2020 im Bun­des­an­zei­ger am 20.03.2020 (!) und des­sen damit nun erfolg­tes Inkraft­set­zen in diese Zeit und in eine völ­lig ver­korkste HV-Sai­son hin­ein: Das wirkt eini­ger­ma­ßen stumpf und rück­sichts­los – gerade aus der Per­spek­tive der klei­ne­ren bör­sen­no­tier­ten Gesell­schaf­ten sowie ihrer Vor­stände, Auf­sichts­räte, Mit­ar­bei­ter und Bera­ter. Hätte man das nicht noch über­gangs­weise zurück­hal­ten kön­nen? Im Moment haben doch alle Betei­lig­ten schlicht andere Sor­gen und andere The­men als diese mit ganz erheb­li­chem Umset­zungs­auf­wand ver­bun­dene Neu­fas­sung des Kodex. Nicht umsonst kommt von den Kol­le­gen aus der Kanz­lei Noerr (s. https://​www​.noerr​.com/​d​e​/​n​e​w​s​r​o​o​m​/​n​e​w​s​/​c​o​r​o​n​a​-​k​r​i​s​e​-​a​l​s​-​r​e​c​h​t​l​i​c​h​e​-​h​e​r​a​u​s​f​o​r​d​e​r​u​n​g​-​f​u​r​-​d​i​e​-​h​a​u​p​t​v​e​r​s​a​m​m​l​u​n​g​-​2020, dort update vom 23.03.2020, Ziff. 7 – Wei­te­rer Rege­lungs­be­darf) u.a. die For­de­rung auf­ge­bracht, im Zusam­men­wir­ken mit der euro­päi­schen Ebene die Anwend­bar­keit der haupt­ver­samm­lungs­be­zo­ge­nen Neu­re­ge­lun­gen des ARUG II über den 03.09.202026j Abs. 4 EGAktG) hin­aus zu ver­schie­ben. Ich würde sogar noch einen Schritt wei­ter gehen als die Kol­le­gen von Noerr und eine Aus­set­zung auch der wei­te­ren The­men aus ARUG II (s. nur Ver­gü­tungs­be­richt und Ver­gü­tungs­be­schlüsse etc.) for­dern. Die Unter­neh­men müs­sen wirt­schaft­lich durch­at­men und, mehr oder weni­ger alle, exis­ten­ti­elle The­men lösen. Statt­des­sen ste­hen sie durch ARUG II, DCGK und ande­res mehr vor rein büro­kra­ti­schen Mons­tern, für die es an Kapa­zi­tä­ten und Res­sour­cen (auch Geld, das dafür ja ver­wen­det wer­den müsste) fehlt bzw. feh­len wird. 

    Die gro­ßen WP-Gesell­schaf­ten dis­ku­tie­ren gegen­wär­tig im Ver­bund mit dem IDW wohl zur Frage einer Rück­nahme von Bestä­ti­gungs­ver­mer­ken zu Jah­res-/Kon­zern­ab­schlüs­sen 2019, die vor der Corona-Pan­de­mie” aus­ge­stellt wur­den, wobei die betrof­fe­nen Abschlüsse von den Auf­sichts­rä­ten noch nicht gebilligt/​festgestellt wur­den. Argu­ment: Wert­auf­hel­lun­gen, wesent­li­che neue Erkennt­nisse etc. Greift das flä­chig um sich, so zieht es den Gesell­schaf­ten auch inso­weit die Grund­la­gen zur Fort­set­zung der Vor­be­rei­tun­gen für dies­jäh­rige HV’s weg und die Res­sour­cen (s. oben) sind ander­weit gebunden.

    1. Danke für die kri­ti­schen und beden­kens­wer­ten Anmer­kun­gen (habe das lei­der erst heute frei­schal­ten können).
      Kleine Akti­en­ge­sell­schaf­ten kön­nen mE ganz ein­fach eine VHV abhal­ten, sie brau­chen nichts wei­ter als ihre E‑Mail-Adresse für die Fra­ge­mög­lich­kei­ten” und für den Ein­gang der elek­tro­nisch abge­ge­be­nen Stim­men (sog. Brief­wahl). Die Ver­samm­lung” (bestehend aus Vorstand/​AR) könnte mit einem Smart­phone gefilmt und ins Netz gestellt werden.

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