Vom Ende der Gesellschaftsrechts-Geschichte

Sind die Gesell­schafts­rechts­ge­schich­ten aus­er­zählt? Ist es das Ende der Gesell­schafts­rechts-Geschichte? Das kann man schon mal fra­gen. Die Beob­ach­tung ist, dass es keine gro­ßen Fälle in der Judi­ka­tur gibt, die so hef­tig umstrit­ten sind, dass die ganze Zunft in Auf­re­gung gerät (Stich­wort: Holz­mül­ler). Die ver­öf­fent­lich­ten Ent­schei­dun­gen des II. Zivil­se­nats sind neu­er­dings sehr üppig begrün­det, aber es sind auch nur wenige. Und man wird kaum sagen, dass sie zen­trale Fra­gen der Kor­po­ra­tio­nen betref­fen. Klar, der Gerichts­hof ent­schei­det über das, was ihm vor­ge­legt wird. Offen­bar man­gelt es an geeig­ne­ten Fäl­len. Ein Teil wird, wie immer, bei Schieds­ge­rich­ten auf­ge­ho­ben sein, doch wo ist das übrige Streit­ma­te­rial geblieben? 

Blickt man auf die Gesetz­ge­bung, so herrscht völ­li­ger Still­stand im Per­so­nen­ge­sell­schafts­recht (eine Reform­kom­mis­sion tagt …); im Kapi­tal­ge­sell­schafts­recht ist die letzte große GmbH-Reform über 10 Jahre her, im Akti­en­recht, dem (mitt­ler­weile unzu­tref­fend) eine Reform in Per­ma­nenz nach­ge­sagt wird, hat die­ses Jahr­zehnt eine peri­phere Akti­en­rechts­no­velle und jüngst die Umset­zung einer EU-Richt­li­nie (ARUG II) gese­hen. Apro­pos EU: auch da war frü­her mehr Lametta. Das Com­pany Law Package 2019 ent­hält eine vor­sich­tige Online-Grün­dung und etwas zur grenz­über­schrei­ten­den Sitz­ver­le­gung. Gut, aber nicht so grund­stür­zend wie vor 18 Jah­ren die Ein­füh­rung der Euro­päi­schen Akti­en­ge­sell­schaft (andere EU-Pro­jekte zu neuen Rechts­for­men – EPG, SUP – sind gescheitert).

Schließ­lich die Rechts­wis­sen­schaft. Täuscht der Ein­druck, dass die haupt­amt­li­chen Gesell­schafts­recht­ler auf ihren Lehr­stüh­len in die Jahre gekom­men sind? Die Habi­li­ta­tio­nen und folg­lich Neu­be­set­zun­gen ori­en­tie­ren sich eher an Gegen­stän­den in Rich­tung Markt“, sei es Kapi­tal­markt, Kar­tell, Rechts­öko­no­mie oder Digi­ta­les. Das klas­si­sche Ver­bands­recht, zu wel­chem im Kern das Gesell­schafts­recht gehört, wirkt ange­zählt und auserzählt.

Auch in der Bera­tungs­pra­xis der Law Firms scheint der Cor­po­rate-Sek­tor nicht mehr so wie in den letz­ten Jahr­zehn­ten zu domi­nie­ren. Sach­ver­halte, die man gesell­schafts­recht­lich anpa­cken könnte, wer­den lie­ber mit Agree­ments“ bewäl­tigt, also nicht­kor­po­ra­tive Lösun­gen bevor­zugt. Schließ­lich han­delt man sich dann keine Gover­nance-Pro­bleme ein. Der für die Uni­ver­si­tä­ten beob­ach­tete Trend bei der Aus­schrei­bung von Pro­fes­su­ren lässt sich auch bei Stel­len­an­ge­bo­ten ein­schlä­gi­ger Kanz­leien feststellen.

Das alles soll kein Lamento sein über schlech­tere Zei­ten und frü­her war alles bes­ser. Es ist ein sub­jek­ti­ver Ein­druck, wie sich die Gewichte ver­schie­ben. Die­sem neuen Anfang wohnt natür­lich ein eige­ner Zau­ber inne.

Ein Kommentar

  1. Vie­len Dank für die Befund­s­ana­lyse. Ja, im deut­schen Recht gäbe es viel zu tun: Eine Reform des Per­so­nen­ge­sell­schafts­recht; ein rechts­form­un­ab­hän­gi­ges Beschluss­män­gel­recht; Abschaf­fung von § 15 Abs. 4 GmbH; Abschaf­fung der Inha­ber­ak­tie… Man sollte den deut­schen Gesetz­ge­ber aber in Schutz neh­men, da die Geschichte des Gesell­schafts­rechts (zum Glück) eine immer euro­päi­schere Hand­schrift trägt. Natur­ge­mäß ist des­halb auch der Fokus des Gesetz­ge­bers stär­ker auf die Umset­zung von RL gesetzt. 

    Dass die Mobi­li­tätsRL etwas zur grenz­über­schrei­ten­den Sitz­ver­le­gung” ent­hält erscheint mir auch zu zurück­hal­tend for­mu­liert. Es ist doch toll, dass Vale und Pol­bud nun sekun­där­recht­li­che Grund­la­gen haben. Dies hilft der Pra­xis. Zudem unter­schla­gen Sie die grenz­über­schrei­tende Spal­tung: Wer hätte sich denn getraut, eine sol­che Maß­nahme allein auf der Grund­lage von Pri­mär­recht durch­zu­füh­ren. Die jewei­li­gen natio­na­len gesell­schafts­recht­li­chen Vor­schrif­ten rücken näher zusammen. 

    Vom deut­schen Gesetz­ge­ber würde ich mir wün­schen, dass er sich — unab­hän­gig von sekun­där­recht­li­chen Vor­ga­ben — fragt, was wir von ande­ren euro­päi­schen Rechts­ord­nun­gen über­neh­men kön­nen. Schauen wir doch ein­mal über die Grenze: Was kön­nen wir von Nie­der­län­dern, Fran­zo­sen, Ita­lie­nern und Spa­ni­ern lernen?

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