§ 118 Abs. 1 S. 2 Aktiengesetz lautet (idF ARUG): „Die Satzung kann vorsehen oder den Vorstand dazu ermächtigen vorzusehen, dass die Aktionäre an der Hauptversammlung auch ohne Anwesenheit an deren Ort und ohne einen Bevollmächtigten teilnehmen und sämtliche oder einzelne ihrer Rechte ganz oder teilweise im Wege elektronischer Kommunikation ausüben können.”
Versammlungsbezogene Rechte sind das Teilnahme‑, Antrags‑, Stimm‑, Rede‑, Frage- und Widerspruchsrecht. Die Satzung bzw. auf ihrer Grundlage der Vorstand kann bestimmen, ob „sämtliche oder einzelne” dieser Rechte ortsfern der Präsenz-HV (d.h. online) ausgeübt werden können. Und es kann geregelt werden, ob diese Rechte „ganz oder teilweise” bestehen. Diese vertikale und horizontale Differenzierung der Versammlungsrechte schafft einen enormen, im strengen Aktienrecht so nie gekannten Spielraum. Wurde nicht oft nach Satzungsfreiheit gerufen? Hier ist sie.
Wie geht man (d.h. in der Praxis der generalermächtigte Vorstand) damit um? Nur einige Fragen:
- Kann geregelt werden, dass nur eine Online-Teilnahme möglich ist (ohne die anderen Versammlungsrechte), etwa um die Präsenzquote anzuheben? M.E. ja, aber dann muss auch von § 118 Abs. 4 AktG Gebrauch gemacht werden (Bild- und Tonübertragung).
- Kann geregelt werden, dass das Online-Stimmrecht nur „teilweise” besteht? M.E. nein, das wäre die Einführung eines Höchststimmrechts durch die Hintertür.
- Kann geregelt werden, dass die zugestandenen Online-Recht sich nur auf bestimmte Gegenstände der Tagesordnung beziehen? M.E. nein, das ist mit „teilweise” nicht gemeint.
- Kann geregelt werden, dass die Online-Rechte nur auszuüben sind, wenn ein gewisser Aktienumfang bzw. eine gewisse Haltedauer erreicht ist? Ist das mit „teilweise” zu begründen? Dies könnte immerhin das Online-Fragerecht handhabbar machen.
- Kann geregelt werden, dass das Online-Rede-/Fragerecht in einem besonderen Forum auszuüben ist, das in der Präsenz-HV zugänglich ist? Was bedeutet dies für das „Mündlichkeitsprinzip” der HV?
- Kann das Widerspruchsrecht (§ 245 AktG) ausgeschlossen werden mit der Folge, dass die Onliner keine Anfechtung bewirken können? Diese Frage regelt sich evtl. ganz praktisch dadurch, dass es technisch keine Möglichkeit gibt, „zur Niederschrift” etwas zu erklären.
- …
und wie geht man mit dem Problem der technischen Erreichbarkeit um? Was ist, wenn die Verbindung nicht steht? Wie kontrolliert der Notar das?
§ 243 (3) Die Anfechtung kann nicht gestützt werden:
1.
auf die durch eine technische Störung verursachte Verletzung von Rechten, die nach § 118 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und § 134 Abs. 3 auf elektronischem Wege wahrgenommen worden sind, es sei denn, der Gesellschaft ist grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorzuwerfen; in der Satzung kann ein strengerer Verschuldensmaßstab bestimmt werden
und dann das Problem hinnehmen.
Aha, wir nehmen also einfach hin, dass das Teilnahme- und Stimmrecht aus technischen Schwierigkeiten nicht ausgeübt werden kann. Da denken manche Notare aber anders. Es geht nicht um die (faktisch) fehlende Anfechtbarkeit, es geht vielmehr darum, den Aktionären ein funktionierendes Teilnahmerecht und Stimmrecht zu gewährleisten. Technik funktioniert leider nicht immer, was ich als Registerrichter leider allzuoft miterleben muss, auch wenn Soft- und Hardware von namhaften Unternehmen stammen.