Hier mein unter der Überschrift „Aktienrechtler widersprechen den Bundesrichtern” in der heutigen FAZ (S. 29) erschienener Artikel:
Der Gutsverwalter darf keine Geschenke verteilen, das sei Sache des Gutsherrn. So wurde der Vorsitzende Richter des 3. BGH-Strafsenats anlässlich der Urteilsverkündung in der Revision „Mannesmann“ zitiert. In der Urteilsbegründung wird ein ähnlicher Vergleich bemüht. Der Einzelunternehmer könne einem verdienten Mitarbeiter eine freiwillige Sonderzahlung zuwenden, der Aufsichtsrat als Betreuer fremden Vermögens aber grundsätzlich nicht. Daher sei die Zahlung einer nicht vereinbarten Anerkennungsprämie als strafrechtliche Untreue zu werten. Das eingängige Bild vom Gutshof ist freilich schief. Denn die Gutsherren — die Aktionäre — entscheiden nach deutschem Aktienrecht gar nicht über die Vergütung des Vorstands. Vielmehr vertritt der Aufsichtsrat die Gesellschaft in dieser wichtigen Angelegenheit. Um im Bild zu bleiben: die Gutsaufsicht bestimmt anstelle der Gutsherren das Entgelt der Gutsleitung. Dass der Aufsichtsrat eine Geldzahlung gewährt, ist kein Regelverstoß, sondern systemgerecht.
Im Mannesmann-Verfahren war zu klären, ob eine solche Zahlung nachträglich an ein bald ausscheidendes Vorstandsmitglied erfolgen darf. Das hat der BGH verneint, da er bei der „kompensationslosen Anerkennungsprämie“ keinen „zukunftsbezogenen Nutzen“ erkennen konnte. Vermutlich wird die morgen beginnende neue Verhandlung deshalb eben diese Zukunftsbezogenheit zum Thema haben. Anfang 2000 ging es um die rasche Einbindung der übernommenen Gesellschaft in einen internationalen Telekommunikationskonzern. Man kann durchaus statt von einer Anerkennungs- von einer Abwrackprämie sprechen, die im Interesse der neu zu formierenden Unternehmensgruppe mit Einverständnis des neuen Mehrheitsgesellschafters Vodafone gezahlt wurde.
Über den spektakulären Fall hinaus ist die Frage nach Anerkennungsprämien bedeutsam. Handelt ein Aufsichtsrat aktienrechtlich unkorrekt, wenn er eine dienstvertraglich nicht geschuldete Sonderzahlung veranlasst? Das wird von Aktienrechtlern mehrheitlich anders als vom BGH-Strafsenat gesehen. Denn nicht selten wird im Dienstvertrag, den der Aufsichtsrat mit dem Vorstand schließt, zunächst eine vorsichtige Entgeltregelung getroffen; nach Ablauf einiger Zeit lässt sich das Wirken des Topmanagers natürlich besser beurteilen, weshalb dann eine nachträgliche Leistungsprämie angemessen sein kann. Angemessen: das ist das Stichwort für die Beurteilung. § 87 Abs. 1 Aktiengesetz bestimmt, dass „die Gesamtbezüge in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben des Vorstandsmitglieds und zur Lage der Gesellschaft stehen“. Das Gesetz zählt beispielhaft auf, was es unter Gesamtbezügen versteht: Gehalt, Gewinnbeteiligungen, Aufwandsentschädigungen, Versicherungsentgelte, Provisionen, und Leistungen verwandter Art. Allerdings ist für den BGH-Strafsenat eine Zahlung gegen Ende der Vertragszeit schon „dem Grunde nach unzulässig“, weshalb sich die Frage der Angemessenheit gar nicht erst stelle. Diese rigide Einengung, die sich auf die vermeintlich vergleichbare zivilrechtliche Pflichtenlage zwischen Vermögensbetreuer und seinem Kunden stützt, widerspricht dem aktienrechtlichen System.
Die Praxis hat reagiert. Da das Verdikt nur für eine „zuvor im Dienstvertrag nicht vereinbarte Sonderzahlung“ gilt, sind entsprechende Prämien-Öffnungsklauseln üblich geworden. Ob der höchstrichterlich veranlasste Beitrag zur verfeinerten Kautelarjurisprudenz wirklich eine Verbesserung darstellt?
Mit entsprechender Vertragsgestaltung sind nachträgliche Zahlungen dem Grunde nach also gerechtfertigt, aber es interessiert doch eigentlich die Höhe. Wären im Mannesmann-Fall — angeblich grundlos — nur einige Tausender geflossen, hätte sich niemand aufgeregt.
In den Vorstandsetagen der 30 DAX-Unternehmen wurden im Geschäftsjahr 2005 durchschnittlich 1,7 Millionen Euro verdient, hat die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz festgestellt. Für die Angemessenheit von Vorstandsgehältern macht das Aktiengesetz kaum Vorgaben. Es kommt auf die Aufgaben des Vorstandsmitglieds an. Der Vorsitzende verdient mehr als seine Kollegen mit den Fachressorts. Und es ist die Lage der Gesellschaft zu beachten. Das heißt nicht, dass in Krisenunternehmen stets wenig gezahlt wird, denn ein erfahrener Sanierer hat seinen Preis. Der deutsche Corporate Governance Kodex (Nr. 4.2.2.) ergänzt, es seien der Erfolg und die Zukunftsaussichten des Unternehmens unter Berücksichtigung seines Vergleichsumfelds zu beachten. Ersichtlich führt auch dies zu keinen eindeutigen Festlegungen, weshalb nicht die Suche nach dem „gerechten Preis“, sondern die Transparenz über den gezahlten Preis im Vordergrund steht.
Seit langem können die Gesamtbezüge des Vorstands und des Aufsichtsrats im Anhang zum Jahresabschluss nachgelesen werden. Ab 2007 muss individualisiert für jedes Vorstandsmitglied offen gelegt werden. Diese rechtspolitisch umstrittene Regelung in § 285 HGB wurde im vergangenen Jahr gesetzlich eingeführt. Allerdings kann die Hauptversammlung mit Dreiviertel-Mehrheit gegen eine individuelle Offenlegung optieren. Davon haben Porsche und elf weitere MDAX-Werte Gebrauch gemacht.
Der Corporate Governance Kodex enthält Details einer angemessenen Vergütungsregelung. So sollen die monetären Vergütungsteile fixe und variable Bestandteile umfassen. Zu den letzteren gehören Aktienoptionen, die erst einmal werthaltig werden müssen. Der Aufsichtsrat soll hier eine Begrenzung für außerordentliche Entwicklungen vereinbaren. Die Hauptversammlung ist über die Grundzüge des Vergütungssystems zu informieren. Vor kurzem wurde der Kodex um ein Transparenzinstrument erweitert (Nr. 4.2.5): ein Vergütungsbericht soll als Teil des Corporate Governance Berichts das Vergütungssystem in verständlicher Form erläutern.
Man sieht: die oft komplexen Vorstandsbezüge sind — verglichen mit dem Zustand vor wenigen Jahren — unbestreitbar transparenter geworden. Das erlaubt dem Kapitalmarkt, sich sein Urteil über deren Angemessenheit zu bilden. Gerichtsverfahren sind nicht bekannt geworden, vom Sonderfall Mannesmann einmal abgesehen.
Dies könnte sich ändern, wenn eine neue Rechtsfrage zu entscheiden ist, die mit dem Übertritt vom aktiven Vorstand in den Aufsichtsrat zu tun hat. Scheidet ein Vorstandsmitglied vor der Zeit aus, kann es zu einer Abfindungsvereinbarung kommen, für die der Aufsichtsrat zuständig ist. Doch besteht diese Zuständigkeit auch, wenn das Vorstandsmitglied das Unternehmen nicht verlässt, sondern in den Aufsichtsrat wechselt? Das Vorstandsamt ist sehr gut bezahlt, das Mandat im Aufsichtsrat dagegen deutlich geringer. Die Differenz mag sich das neue Aufsichtsratsmitglied vergüten lassen. Im Fall „Deutsche Bank“ (FAZ v. 21.10.2006) ist jetzt streitig geworden, ob dafür nicht nach § 113 AktG die Hauptversammlung zuständig ist. Dann wäre die Auszahlung der vermeintlichen Abfindung ohne Rechtsgrund erfolgt.
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