Der „Berliner Kreis” (eine jährlich tagende Gruppe von Professoren, Rechtsanwälten, Unternehmensjuristen) hat gestern mit Prof. Dr. Seibert (BMJ) über zwei Problembereiche beraten.
Zur „Neuregelung der Kapitalaufbringung bei der AG” referierte Dr. Jochen Vetter (Hengeler Mueller) „Der Gesetzgeber sollte zumindest im Rahmen einer kleinen Lösung eine dem GmbH-Recht (§ 19 Abs. 4 und 5 GmbHG) entsprechende Modifikation der Rechtsfolgen der verdeckten Sacheinlage und des Hin- und Herzahlens in das Aktienrecht übernehmen. Europarechtliche Bedenken hiergegen bestehen nicht. Sollte der Gesetzgeber sich mit einer solch kleinen Lösung begnügen, sollte die technische Ausgestaltung im Interesse der Rechtssicherheit in möglichst enger Anlehnung an das GmbH-Recht erfolgen. — Deutlich vorzugswürdig ist jedoch eine darüber hinausgehende große Lösung, die sich eng an der Kapitalrichtlinie orientiert und sich nicht auf die Rechtsfolgen verdeckter Sacheinlagen und des Hin- und Herzahlens beschränkt, sondern auch im Hinblick auf den Tatbestand für Klarheit sorgt. Besondere Grundsätze zur verdeckten Sacheinlage und zum Hin- und Herzahlen werden nicht anerkannt. Ein Umgehungsschutz erfolgt allein durch § 52 AktG und damit nur im Hinblick auf das Gründungsstadium. Die nicht von § 52 AktG erfasste Verwendung von Bareinlagen für Geschäfte mit dem Inferenten unterliegen allein den Grundsätzen der Kapitalerhaltung.”
Zum Thema „Genehmigtes Kapital per Gesetz? Prioritäts- und Sanierungsaktien? Empfiehlt es sich, den gesetzlichen Gestaltungsspielraum bei der Ausgabe von Aktien zu erhöhen?” sprach Christian Gehling (Broich Bezzenberger). Er trat für eine gesetzliche Einbeziehung der Anteilseigner in „cramdown”-Szenarien ein (Restrukturierung der „rechten Seite der Bilanz”). Dazu verwies er darauf, wie mit obstruierenden Gläubigergruppen im Insolvenzplanverfahren verfahren werde. Für die Anteilseigner könne im Grunde nichts anderes gelten. Ferner machte er Vorschläge, wie besondere Aktienarten geschaffen werden könnten, die in der Krise an mutige Investoren zu speziellen Vorzugskonditionen ausgegeben werden (Beispiel: Beteiligung von Berkshire Hathaway an Goldman Sachs im September 2008). — S. dazu auch Gehling in Status:Recht (Märzheft 2009).
Im Rückblick des Jahres 2011 erweisen sich Gehlings Thesen als ziemlich verfehlt. Haette er etwas intensiver nachgedacht und Einblick in die Unternehmenspraxis, so hätte er auf die Interessenlage der wenigen in der globalen Krise übrig gebliebenen Investoren (einschliesslich des Bundes) abstellen müssen. Adademische Gedankenspiele, die mit den realen Fragestellungen der Praxis nichts zu tun haben, bleiben eine blosse Fingerübung. Was ist eigentlich aus dem Berliner Kreis geworden?