Ist der Chef doch nicht der Chef? Sondern ein schutzwürdiger Arbeitnehmer? Der BGH (Urt. v. 23.4.2012; DB 2012, 1499) lässt dem GmbH-Geschäftsführer die Segnungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zuteilwerden, wenn es um die Auswahl des – nun ja – Chefs geht. Diese problematische Anwendung des AGG beruht darauf, dass dort (§ 6 Abs. 3) „Organpersonen” eigens adressiert werden. Im Übrigen hält der BGH daran fest, dass der Dienstvertrag des Geschäftsführers kein Arbeitsverhältnis begründet; der gesetzliche Vertreter der juristischen Person kann als deren Organ nicht zugleich Arbeitnehmer sein. Das sehen BAG und BSG fallweise anders. Für das Bundessozialgericht ist jedenfalls der Fremd-Geschäftsführer ein abhängig Beschäftigter der GmbH und sozialversicherungspflichtig. Das Bundesarbeitsgericht (DB 1999, 1811) nimmt ein Arbeitsverhältnis an, wenn über die allgemeine gesellschaftsrechtliche Weisungsbefugnis hinaus die Tätigkeit des Geschäftsführers im Hinblick auf Zeit, Dauer, Ort und Art dirigiert wird. Und dem EuGH (DB 2011, 2270) genügt schon die Weisungsbefugnis der Gesellschafter als solche.
Die EuGH-Entscheidung „Danosa” betraf eine schwangere Geschäftsführerin einer lettischen Kapitalgesellschaft. Ihre Kündigung bzw. Abberufung (s.u.) war wegen Verstoß gegen die Mutterschutz-Richtlinie unwirksam. Der EuGH wurde angerufen, um die Frage zu klären: Fallen die Mitglieder eines Leitungsorgans einer Kapitalgesellschaft unter den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff? Der Gerichtshof bejaht die Frage grundsätzlich. Eine gesellschaftsrechtlich begründete Weisungsbindung begründet den Arbeitnehmerstatus, wenn gleichzeitig die Position des Geschäftsführers von der Entscheidung der Gesellschafter oder eines Aufsichtsrats abhängig ist. Das ist außer bei Mehrheitsbeteiligung (oder gesellschaftsvertraglich bestimmter Sperrminorität) immer der Fall. Nach dem EuGH sind also der Fremd-Geschäftsführer und grundsätzlich auch der Gesellschafter-Geschäftsführer, der nicht die Mehrheit der Anteile hält, als Arbeitnehmer im unionsrechtlichen Sinne einzustufen. Das ist eine folgenreiche Aussage. Sie könnte dazu führen, dass sich Fremd- und Minderheits-Gesellschafter-Geschäftsführer auf alle arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen berufen können, denen EU-Richtlinien zugrunde liegen. Das ist bei näherer Betrachtung aber nur dann anzunehmen, wenn die Richtlinie auf den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff abstellt (wie im Mutterschutz-Fall); verweist die Richtlinie auf den innerstaatlichen Arbeitnehmerbegriff, ergibt sich aus „Danosa” allein noch keine Ausweitung des Schutzbereichs (zutr. Reiserer DB 2011, 2262, 2266).
Ein weiterer Problempunkt der EuGH-Entscheidung ist, dass sie nicht zwischen Kündigung und Abberufung unterscheidet. Die organschaftliche Vertretung der Kapitalgesellschaft muss auf jeden Fall sichergestellt sein. Der Sozialschutz der Schwangeren darf nicht mit den Funktionsnotwendigkeiten einer Korporation vermengt werden. Daher ist eine einschränkende Interpretation dahin geboten, dass nicht die Abberufung als solche zu missbilligen ist, sondern nur aber immerhin die Kündigung des Anstellungsverhältnisses.
Man sieht: Die Position des GmbH-Geschäftsführers ist alles andere als eindeutig. Weder die herkömmliche Unterscheidung zwischen korporativer Bestellung/Abberufung und dienstvertraglicher Anstellung/Kündigung noch die Ablehnung eines Arbeitnehmerstatus liegt auf der Linie der EuGH-Judikatur. Auf Dauer wird sich eine grundsätzliche Trennung von innerstaatlicher und unionsrechtlicher Einstufung nicht halten lassen, schon weil sich die Rechtsmaterien überschneiden.
Über die Problematik referieren und diskutieren Prof. Dr. Preis und Prof. Dr. Willemsen am 24. Oktober 2012 in der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf im Rahmen der 8. Rheinischen Gesellschaftsrechtskonferenz (Beginn 16.20 Uhr, Hörsaal 5A; s. iur.duslaw.de): „Der GmbH-Geschäftsführer in der arbeits- und diskriminierungsrechtlichen Rechtsprechung des EuGH, BGH und BAG.”
(Beitrag zuerst erschienen im Handelsblatt-Rechtsboard v. 1.10.2012).
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