Aus der FAZ v. 26.11.2003, S. 28 (Recht und Steuern):
Das GmbH-Recht braucht eine Runderneuerung
Wettlauf mit anderen EU-Rechtsformen / Sitzverlegung darf nicht zur Auflösung führen
Gesellschaften aus einem Mitgliedstaat der EU dürfen in keiner Weise behindert werden, wenn sie sich in einem anderen EU-Staat niederlassen. Das ist die klare Botschaft des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), die er nach seinen Entscheidungen zu „Centros” und „Überseering” zuletzt in dem Urteil „Inspire Art” vom 30. September formuliert hat (C‑167/01 — F.A.Z. vom 1. Oktober). Damit haben die Richter den Weg für den Export der Gesellschaftsformen innerhalb der Union frei gemacht.
Aufgeregt wird nun in Deutschland diskutiert, ob es hierzulande künftig eine Flut von Gesellschaften in der englischen Rechtsform der private company limited by shares geben wird und wie damit umzugehen sei. Kurioserweise wird zur gleichen Zeit in Großbritannien auf die Schwerfälligkeit dieser Gesellschaftsform hingewiesen und nach Wegen der Entbürokratisierung gesucht. Dennoch werden schon jetzt in England registrierte Unternehmen in Deutschland zum Erwerb angeboten — für 99 Cent bei langjähriger Vertragsbindung wie im Mobilfunkgeschäft.
Daß in Zukunft Dachdeckermeister, Bäcker oder Einzelhändler statt einer GmbH lieber eine limited gründen werden, muß man trotzdem bezweifeln. Es ist wenig wahrscheinlich, daß der Mittelstand spürbar von dem Angebot Gebrauch machen wird, aus den bald 25 EU-Rechtsordnungen eine Rechtsform für ein Unternehmen auszuwählen, das in Deutschland geführt werden soll. Dafür ist das Gesellschaftsrecht der Mitgliedstaaten in Organisations- und Finanzfragen viel zu wenig vereinheitlicht, weshalb mit beträchtlichen Folgekosten kalkulieren muß, wer seinem Unternehmen ein fremdes Rechtskleid gibt. So muß man etwa die Ausgaben für Rechts- und Steuerberatung am Registerort berücksichtigen.
Allerdings kann all dies anders zu beurteilen sein, wenn es einem EU-Land gelingt, eine kompakte Muster-Rechtsform mit solidem Zuschnitt, wenig Bürokratie und einfacher Handhabung anzubieten. Dem amerikanischen Bundesstaat Delaware ist dies geglückt, deshalb ist sein Gesellschaftsrecht so beliebt. In der Europäischen Union hat soeben Frankreich seine GmbH-Variante, die société à responsabilité limitée, reformiert: Vom kommenden Jahr an kann ohne Aufbringung von Stammkapital und mit einer vorläufigen gerichtlichen Bescheinigung sofort mit dem Geschäftsbetrieb begonnen werden. In Großbritannien ist im nächsten Jahr eine Reform der limited zu erwarten. Und was geschieht in Deutschland?
Hierzulande sind zwei unterschiedliche Schritte nötig. Zum einen muß das seit mehr als zwei Jahrzehnten im Grunde unveränderte GmbH-Recht einer Prüfung unterzogen werden (siehe Hirte FAZ v. 22.1. 2003). Der Freistaat Sachsen hat dazu eine Initiative auf den Weg gebracht, doch setzt sie bei den insolvenzgefährdeten Gesellschaften an und zäumt damit das Pferd eher am falschen Ende auf. Fest steht: Das gegenwärtige GmbH-Recht mitsamt der Vorgaben zum Kapitalersatz ist gewiß kein Exportschlager.
Der zweite Schritt ist noch viel bedeutsamer, denn er muß den Export erst ermöglichen. Bislang wird in Deutschland überwiegend die Auffassung vertreten, wenn eine deutsche Gesellschaft ihren Verwaltungssitz und ihr Unternehmen ins Ausland verlege, führe dies zu ihrer Auflösung. Urteile, die diese Ansicht stützen, findet man jedoch nicht: Der Bundesgerichtshof hat keine solche Entscheidung gefällt, und auch die Instanzgerichte waren nur mit Fällen befaßt, in denen gleichzeitig Register- und Verwaltungssitz ins Ausland wechseln sollten. Interessant aber ist diejenige Konstellation, in der eine GmbH oder AG zwar weiter im hiesigen Handelsregister geführt wird, ihre Geschäftsleitung aber in einem anderen Mitgliedstaat der EU angesiedelt und auch nur dort tätig ist.
Der EuGH hat in den eingangs erwähnten Urteilen geklärt, daß der „aufnehmende” Mitgliedstaat gegen diese Form des Exports nichts einwenden kann. Die Richter mußten aber nicht entscheiden, ob und welche Hindernisse der „abgebende” Mitgliedstaat der Gesellschaft in den Weg legen darf. In einem früheren Urteil („Daily Mail”) hat der Gerichtshof eine solche Befugnis zwar angenommen. Doch ist fraglich, ob er dies heute noch bestätigen würde.
Eine europarechtliche Klärung ist allerdings gar nicht nötig, denn das Exportverbot deutscher Rechtsformen ist hausgemacht. Mit dem auf das Inland bezogenen Schutzanliegen der Sitztheorie, wonach eine Gesellschaft den Vorschriften am Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes unterliegt, läßt es sich jedenfalls nicht begründen. Eine Verlegung des Verwaltungssitzes bringt den Minderheitsgesellschafter keine Nachteile, im Gegenteil: Sie haben es nach wie vor mit vertrautem deutschen GmbH-Recht zu tun. Gläubiger können auch in Vermögenswerte im Ausland vollstrecken, auf den Geschäftssitz kommt es nicht an. Wie viel einfacher wäre es dagegen etwa für einen Konzern, Tochtergesellschaften in den EU-Staaten als deutsche GmbH zu führen: Man wüßte in der Holding genau, inwieweit Weisungen an die Geschäftsführer zulässig sind, wie es mit der Haftung oder Wettbewerbsverboten der Manager steht, denn für derlei Binnenverhältnisse gälte deutsches Gesellschaftsrecht. Dies vor Augen: Wer der heimischen Rechtsordnung Beachtung verschaffen will, darf das Auseinanderfallen von Register- und Verwaltungssitz nicht als Selbstmord der Gesellschaft auffassen. Die hier registrierte und im Ausland tätige GmbH ist ein Angebot an die Unternehmen Europas, dessen Akzeptanz allerdings auch von der Runderneuerung unseres GmbH-Gesetzes abhängt.
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