Bei den Stellungnahmen zu dem Vorschlag einer Richtlinie über bestimmte Aktionärsrechte zeichnet sich namentlich von Seiten einiger deutscher Vertreter die Tendenz ab, das hiesige Modell der Hauptversammlung europaweit festschreiben zu wollen. Fraglich ist, ob dieses Modell auch im 21. Jahrhundert die notwendige Aktionärsteilhabe im europäischen Binnenmarkt gewährleisten kann.
1. Dass sich die Anleger einmal im Jahr persönlich treffen, um über das Unternehmen und dessen Leitung zu beraten, ist ersichtlich ein Idyll aus vergangenen Jahrhunderten. Dieses Verfahren war effizient, solange die Investoren aus „Schornsteinaktionären“ bestanden. Aber schon im nationalen Rahmen kann — bei börsennotierten Gesellschaften — nicht mehr die Rede davon sein, dass die Versammlung praktisch allen Aktionären offen steht und zur Mitwirkung einlädt. Um das Präsenzdefizit auszugleichen, haben die Gesellschaftsrechte seit langem eine Fernteilnahme durch Vertreter ausgebildet. Noch weniger praxisgerecht ist das Konstrukt der ortsgebundenen Versammlung im internationalen Kapitalmarkt. Hier stößt auch die Teilhabe mittels Vertreter an ihre Grenzen (bzw. die Regulierung des Vorgangs geriete sehr komplex).
2. Die ortsgebundene Präsenzversammlung kann mE die elementaren Funktionen einer Aktionärsmitwirkung nicht mehr zeitgemäß darstellen. Diese Funktionen sind:
- Information über die Gesellschaft;
- Entscheidung über grundsätzliche Angelegenheiten (national unterschiedlich gewichtet).
- Hinzu tritt evtl. eine Kommunikation vor der Beschlussfassung.
Die Information erfolgt heute standardisiert durch Regeln des Kapitalmarktrechts (Gesellschaft–>Aktionäre). Sie sollte durch einen direkten Informationsanspruch (Aktionär–>Gesellschaft) ergänzt werden.
Die Entscheidung über einen Beschlussantrag ist eine Ja/Nein-Bekundung. Die elektronische Abgabe dieser Erklärung sollte ermöglicht werden.
Die Kommunikation unter den Aktionären ist nicht essentiell für die Wahrnehmung der Rechte. Großaktionäre können sich persönlich ansprechen, Kleinaktionäre können via Internetboards kommunizieren. Jedenfalls braucht das Aktienrecht dafür nicht zwingend eine Präsenzversammlung vorzuschreiben; diese ist idR auch nicht tauglich für eine angemessene Kommunikation.
3. Die Orientierung des RL-Vorschlags an der herkömmlichen Präsenz-Hauptversammlung ist einerseits zwar verständlich, da dieses Modell in den nationalen Aktienrechten vorgesehen ist. Aber eine EU-Regelung über Aktionärsrechte muss auf die Zukunft setzen und darf nicht das Modell der Vergangenheit festschreiben.
?xml:namespace prefix = st1 ns = „urn:schemas-microsoft-com:office:smarttags” /> Daher sollte dem von manchen deutschen Unternehmensverbänden ausgeübten Druck nicht nachgegeben werden, wonach das Fragerecht vor der Hauptversammlung (Art. 9) ein Sündenfall sei. Für die hergebrachte Vorstellung ist das in der Tat ein Systemwechsel, weil von der Ausübung dieses Aktionärsrechts in der Hauptversammlung (
Die nähere Ausgestaltung eines Informationsrechts (außerhalb herkömmlicher Versammlungen) kann durchaus differenziert erfolgen. Die von mancher deutschen Seite entworfenen Szenarien, dass 365 Tage im Jahr zigtausendfache Anfragen zu bearbeiten sind, sind polemisch irreführend. Man kann die Periode, in der Fragen zu beantworten sind, ebenso limitieren wie die Gegenstände der Fragen. Auch käme in Betracht, dass nur ein qualifiziertes Fragerecht ermöglicht wird (Mindestbeteiligung). Außerdem sollte die Verletzung dieses Fragerechts von der Wirksamkeit der Beschlüsse getrennt werden. In Deutschland hat man es mit der Anerkennung der Informationsverletzung als Anfechtungsgrund etwas übertrieben (und versucht mit der Neuregelung durch das UMAG zurückzurudern).
Fazit: Eine Richtlinie über die effiziente Ausübung gewisser Aktionärsrechte im Binnenmarkt sollte vorsehen, dass Information und Entscheidung (auch) über das zeitgemäße Medium Internet erfolgen.
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