Der Gesetzgeber hat kurzfristig zwei kleine Änderungen der Regeln für die virtuelle Hauptversammlung (vHV) vorgenommen. Sie sind in Art. 11 des Gesetzes zur Restschuldbefreiung verborgen, der eine Änderung des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschaftsrecht u.a. zur Bekämpfung der COVID19-Pandemie (COVMG) vorsieht. Am Donnerstag (17.12.2020) hat der Bundestag darüber beschlossen (nach der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses). Das Gesetz ist am 30.12.2020 im Bundesgesetzblatt verkündet worden (BGBl. 2020, 3328, 3332),
Da ist zum einen das „Fragerecht“, das den Ausdruck „Fragemöglichkeiten“ in § 1 II 1 Nr. 3 COVMG ersetzt. Der Aktionär hat bei der vHV zwar nicht das Auskunftsrecht nach § 131 AktG (er ist nicht anwesend und nimmt idR auch nicht online teil), doch soll er künftig ein Fragerecht erhalten, das bis zu einem Tag vor der vHV elektronisch geltend zu machen ist. Online-Fragen noch in der vHV werden gesetzlich nicht geregelt, möglich wären sie. Dem Fragerecht korrespondiert eine Antwortpflicht des Vorstands, es liegt nicht mehr in seinem Ermessen, „ob“ er antwortet. Das „wie“ liegt nach wie vor im „pflichtgemäßen, freien Ermessen“ des Vorstands.
Das neue „Fragerecht“ hat keinerlei Begrenzung, doch wird man nur Fragen zulassen, die „zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich“ sind (§ 131 I 1 AktG), was bekanntlich sehr weit auszulegen ist. Das pflichtgemäße Ermessen des Vorstands sollte sich an § 131 II 1 AktG orientieren („Die Auskunft hat den Grundsätzen einer gewissenhaften und getreuen Rechenschaft zu entsprechen“) und hat die Grenzen des § 131 III AktG zu achten (Auskunftsverweigerungsgründe). Eine Zusammenfassung sachlich gleicher Fragen ist möglich, eine individuelle Beantwortung nicht vorgeschrieben. Der Versammlungsleiter kann (aufgrund Satzung oder Geschäftsordnung) die Frage-Antwortrunde zeitlich angemessen beschränken (entsprechend § 131 II 2 AktG). Die Kodex-Anregung, die (v)HV in angemessener Zeit (ca. 4 – 6 Stunden) abzuwickeln, gilt auch hier.
Zur Anfechtung: Die Regelung, dass eine „Verletzung“ der Bestimmungen (hier: betr. Fragen) nur bei Vorsatz der Gesellschaft zur Anfechtung der Beschlüsse berechtigt, wird beibehalten. Nur in dem Fall, dass die zulässige (s.o.) Frage von der Gesellschaft bewusst ignoriert wurde und die Information nach § 243 IV 1 AktG relevant gewesen wäre, hätte eine Anfechtungsklage Aussicht auf Erfolg.
Den Gesellschaften steht es frei, über das gesetzlich (künftig) vorgesehene Fragerecht weitere Fragemöglichkeiten in der vHV zu eröffnen, etwa mittels eines Textfeldes im Aktionärsportal. Das ist in der vHV-Saison 2020 nur ganz vereinzelt geschehen, was von Aktionärsvereinigungen und manchen Investoren massiv kritisiert wird.
Ferner wird das COVMG eine Regelung über Anträge und Wahlvorschläge von Aktionären (§§ 126, 127 AktG) enthalten. Diese „gelten als in der Versammlung gestellt“ (Fiktionslösung, zum Teil schon von der gut beratenen Praxis verwirklicht), sofern der Aktionär zur (virtuellen) Hauptversammlung angemeldet ist (an welcher er nicht teilnehmen darf).
Und am Ende die für die Praxis wichtigste Frage: ab wann gelten die Neuregelungen? Art. 11 tritt am 28.2.2021 in Kraft (Art. 14 III). Hauptversammlungen ab März 2021 sind nach den geschilderten Regeln durchzuführen; in der Einberufung müsste bei börsennotierten Gesellschaften darauf hingewiesen werden („Rechte der Aktionäre“, § 121 III 3 Nr. 3 AktG).
Übrigens: auch das Vereinsrecht erfährt Änderungen (§ 5 COVMG).
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