Der „Berliner Kreis” (eine kleine Runde von Unternehmensjuristen, Rechtsanwälten und Professoren) befasste sich in der vergangenen Woche mit der Reform des Anfechtungsrechts. Näher dazu demnächst in der ZIP. Ich habe meinem Vortrag folgende Thesen zugrunde gelegt (zT auf Grund der Diskussion modifiziert):
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Mindestanteil als Reaktion auf die 1‑Euro-Stückelung
- Die Gesetzgebung sollte wieder für eine Balance sorgen und angesichts der atomisierten Aktienstückelung jedenfalls einen ganz geringen Mindestanteil für die Anfechtung verlangen.
- Dies bedeutet lediglich eine komplementäre Folgeanpassung bei § 245 AktG, nachdem bei § 8 AktG die Gewichte verschoben wurden. Von einer Anfechtungseinschränkung kann daher nicht die Rede sein.
2. Das Anfechtungssystem und seine Probleme
- Das strukturelle Problem liegt in der Weite des Tatbestands und der Schärfe der Rechtsfolge. Jeder Aktionär kann ohne eigene Betroffenheit anfechten. Jeder Gesetzes- oder Satzungsverstoß berechtigt zur Anfechtung mit der Folge der Nichtigerklärung, auch wenn der Beschluss der Gesellschaft nützlich ist.
- Dieses hergebrachte System ist einer heutigen börsennotierten Aktiengesellschaft nicht mehr angemessen. Die überschießende Rechtsfolge, die Blockadewirkung und die fehlende Verhaltenssteuerung geben Anlass, mit einem spürbaren Quorum zu reagieren.
- Die Dogmatik des Beschlussrechts erfordert nicht, dass Mängel von einzelnen Aktionären geltend gemacht werden.
- Der (streitige) Grundsatz, das Mitglied habe einen Anspruch auf Beachtung von Gesetz und Satzung durch die Gesellschaftsorgane erfordert ebenfalls nicht die Individualklage.
3. Das Quorum (und einige Gegenargumente)
- Als allgemeines Quorum sollte gelten: Anfechtungsbefugt ist, wer 1% des Grundkapitals oder den anteiligen Betrag am Grundkapital von 100 000 € erreicht. Das Erfordernis eines Widerspruchs zur Niederschrift kann entfallen. Das Freigabeverfahren kann grundsätzlich beibehalten werden.
- (Von der BaFin) anerkannte Aktionärsvereinigungen sollten ein Klagerecht unabhängig von dem Mindestanteil haben.
- Gegen das Quorum kann nicht eingewandt werden, dass es zu „umgehen” ist. Wenn mehrere Aktionäre den Mindestanteil erreichen, so ist das maßgebliche Kriterium eben erfüllt.
- Gegen das Quorum kann nicht eingewandt werden, dass der damit verbundene Verlust der Individualbefugnis den hohen Standard der Vorbereitung und Durchführung der Hauptversammlung beeinträchtigt. Vielmehr ist heute von einer Überregulierung zu sprechen, die das Organ Hauptversammlung teilweise zu denaturieren scheint.
- Gegen das Quorum kann nicht der angebliche Grundrechtsschutz des „Anteilseigentums” gem. Art. 14 GG eingewandt werden. Der Mindestanteil ist eine Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 I 2 GG, der dem legitimen Zweck dient, die Funktionsfähigkeit der (börsennotierten) Aktiengesellschaft zu sichern.
4. Freigabeverfahren
- Bei einer versteckten Einführung eines Quorums durch Reformulierung der Interessenabwägungsklausel im Freigabeverfahren (Höhe der wirtschaftlichen Beteiligung des Antragsgegners <sic!> vs. Nachteile für die Gesellschaft durch Nichteintragung) handelte es sich um die Einschränkung der Anfechtbarkeit durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
5. Materielle und formelle Beschlussmängel
- Die Anfechtungsgründe sollen neu sortiert werden: Inhaltsfehler des Beschlusses führen grundsätzlich zur kassatorischen Anfechtung, Verfahrensfehler haben diese Folge grundsätzlich nicht (sondern berechtigen zu anderen Behelfen, etwa Informationserzwingung und pauschalierten Schadensersatz) – so könnte man schon bei unbefangenem Lesen von § 243 Abs. 1 AktG entscheiden.
Selbst hochbezahlte Lobbyisten (zuletzt Hoffmann-Becking in Status Recht 1/2008) haben mittlerweile erkannt, dass dem Phänomen der Anfechtungsklage so leicht nicht entgegen zu treten ist.
Hoffmann-Becking: „Auch der Vorschlag eines Mindestbesitzes an Aktien (Quorum) als Voraussetzung für eine Anfechtungsklage hat rechtspolitisch nur geringe Realisierungschancen.”
Leider scheint sich diese Erkenntnis noch nicht überall herum gesprochen zu haben, wie dieser Beitrag zeigt.
Gänzlich fehlt mir eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie Minderheitsrechte bei grobem Rechtsmißbrauch seitens des Mehrheitsaktionärs (siehe bsw. MWG Biotech) überhaupt noch verteidigt werden können, wenn das Recht der Anfechtungsklage über ein Quorum quasi abgeschaft wird.