Das Mitbestimmungsgesetz möge in Richtung des Montan-Mitbestimmungsgesetzes verändert werden. Dies hat der Bundestagspräsident Lammert (CDU) auf einer DGB-Veranstaltung angeregt (FAZ v. 13.2.2014). Dann würde das doppelte Stimmrecht des (letztlich von der Aktionärsseite gestellten) Aufsichtsrats-Vorsitzenden gestrichen. Es käme in Patt-Situationen auf das „weitere Mitglied” an, das auch als neutrale Person bezeichnet wird. An dem Vorstoß ist bemerkenswert, dass es dazu weder im Koalitionsvertrag noch im Wahlprogramm der Partei, welcher der Vorschlagende angehört, eine Aussage gibt. Daher mag man ihn als lediglich rhetorischen Versuchsballon ansehen. Hier interessiert die Begründung, mit der die „verfassungsrechtlichen Bedenken” vom Bundestagspräsidenten erkannt und abgetan wurden. Erkannt wurde, dass Eigentümerrechte arg eingeschränkt werden. Aber, so wird Lammert zitiert: Mit dem starken Wachstum der Finanzmärkte hätten sich im Laufe der Jahrzehnte auch die Eigentümer verändert. Wo einst „persönlich identifizierbare Unternehmer” aufgetreten seien, agiere heute „anonymes Kapital”; oft seien es Vertreter von Fondsanlegern, die selbst nicht wüssten, wo ihr Geld investiert sei.
Das Bundesverfassungsgericht hat 1979 im Mitbestimmungsurteil (BVerfGE 50, 290) festgestellt, das Mitbestimmungsgesetz 1976 sei mit dem Grundgesetz vereinbar, insbesondere Art. 14 GG nicht verletzt. Eine tragende Begründung des Verfassungsgerichts lautet, das MitbestG führe keine völlige Parität herbei, und zwar wegen dem Doppelstimmrecht. „Die Beschränkungen, die sich aus dem Gesetz für den Eigentümer ergeben, erscheinen … angemessen und zumutbar. In jedem Fall verbleiben der maßgebliche Einfluss und das Letztentscheidungsrecht den Anteilseignern. … Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit ist daher die Beschränkung der Anteilsrechte durch das Mitbestimmungsgesetz ebenfalls mit Art. 14 GG vereinbar.”
Wenn ausgerechnet dieses Doppelstimmrecht zugunsten einer „neutralen Person” entfiele, wäre jedenfalls nach dem Duktus der Entscheidungsgründe von 1979 die Verfassungswidrigkeit gegeben. Das Verfassungsgericht hat zwar zwischen Sach- und Anteilseigentum differenziert, aber nicht weiter innerhalb des letzteren. Vielmehr wurde die spezielle Struktur des Anteilseigentums vom BVerfG bereits berücksichtigt: „Für die Vielzahl der Anteilseigner bedeutet das Anteilseigentum typischerweise mehr Kapitalanlage als Grundlage unternehmerischer Betätigung, die sie mit ihrer Person verbinden; dies wird auch an der Liquidität des Anteilsrechts und der Anonymität des Inhabers deutlich.” Der vom Bundestagspräsidenten beschriebene verstärkte Wandel hin zu einem „anonymen Kapital” ändert nichts daran, dass es sich um Anteilseigentum handelt. Person, Herkunft, Geschlecht, Nationalität etc. des Eigentümers spielen keine Rolle (was in anderen Zusammenhängen immer sehr betont wird), wenn es um den Schutz der Rechtsposition geht.
Es wäre auch kaum vorstellbar, die Mitbestimmung nach der jeweiligen Aktionärsstruktur auszurichten. Also etwa die neutrale Person im Aufsichtsrat der „anonymen” Deutschen Bank-AG und das Doppelstimmrecht bei der von einer Familie dominierten BMW-AG?
Etwas polemisch, aber nicht unberechtigt der Verband Familienunternehmen: „Norbert Lammert sitzt seit Jahren als neutrales Mitglied im RAG-Aufsichtsrat, wo das paritätische Modell der Montan-Mitbestimmung gilt, das er als Vorbild für alle großen Unternehmen sieht. Lammerts Erfahrung aus einem Aufsichtsrat eines staatlich subventionierten und über Jahrzehnte hoch unwirtschaftlichen Konzerns kann nicht auf die Wirklichkeit der deutschen Wirtschaft übertragen werden”.
Wer die Mitbestimmung rechtspolitisch diskutieren will, sei an den Vorschlag des Arbeitskreises Unternehmerische Mitbestimmung aus dem Jahr 2011 erinnert. Dort wird mit guten Gründen für eine Verhandlungslösung nach dem Vorbild der SE plädiert.
Sehr geehrter Herr Noack,
nicht nur da ich auf der Veranstaltung dabei war und deshalb auch die vorangegangene Rede von Lammert ausgezeichnet fand (können sie sich durchaus einmal ansehen: http://www.boeckler.de/28733_44769.htm) sondern auch weil ich die Diskussion in der dann die von ihnen inkriminierte Bemerkung (zitiert nach FAZ) fiel, muss ich einige Bemerkungen zu ihrem HB-Beitrag machen:
Auf die Frage aus dem Publikum zu VW-Gesetz für alle hat Lammert die von ihm erlebte Konstruktion wie beim Montanmodell für die anzustrebende gehalten. Und zwar — dies zugleich zu ihrer Erwähnung des Verbandes der Familienunternehmen- weil er den Zwang beider Seiten sich zu einigen, also gerade ohne die Neutrale Person auszukommen, für die richtigere hielt.
In der Rede hatte er vorher eine wirklich zutreffende Analyse der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse gemacht (Realwirtschaft und Verhältnis zu Finanzmärkten), die man bei dem einen Satz, den er zur verfassungsrechtlichen Würdigung seiner Bemerkung nachschob, nicht ausblenden darf.
Sie haben recht: die Mitbestimmung nach der jeweiligen Aktionärsstruktur auszurichten wäre verkehrt. Deshalb hatte der DGB bereits 1982 einen ganz anderen Ansatz verfolgt, alle Großunternehmen (nach den Kriterien Arbeitnehmerzahl, Umsatz und Bilanzsumme) einer beschränkten Rechtsformwahl zu unterwerfen und von der Konstruktion des Aufsichtsrates her dann wie beim Montanmodell vorzugehen. Ich füge einen Beitrag von mir aus dem Jahre 1985 bei, der sich auch mit der Literatur zu dem Entwurf auseinandersetzt (siehe Die Mitbestimmung Heft 2/3 1985, S. 76). Alleine die Schwellenwerte müsste man natürlich herabsetzen. Dazu wird der DGB-Kongress im Mai auch noch einmal einen Beschluss fassen.
Nun zu dem Teil, der mich schon bei früheren Besprechungen Bundesverfassungsgerichts v. 1.3.1979 geärgert hat (deshalb auch meine Besprechung des Gutachtens von Badura aus dem Jahre 1985 beigefügt, siehe Die Mitbestimmung 10/11 1985, S. 505). Die Arbeitgeberverbände und eben auch solche Juristen wie Badura haben, hinterher erklärt ihr Ziel erreicht zu haben, da das BVerfG gesagt hätte, bis hierher und nicht weiter. Dabei beginnt der teil C. mit den Satz „Prüfungsgegenstand sind allein die angegriffenen und zur Prüfung gestellten Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes; ob andere Regelungen einer Mitbestimmung der Arbeitnehmer mit dem Grundgesetz vereinbar wären, ist nicht zu entscheiden”. Dies muss man doch redlicher weise jeweils bei der Auslegung späterer Ausführungen im Urteil mitdenken (schon nicht verfassungswidrig weil nicht Parität) und nicht ins Horn der Arbeitgeberverbände stoßen. Lesenswert dazu eine Studie von Höpner vom Max-Planck Institut (Martin Höpner, Maximilian Waclawczyk (2012): Opportunismus oder Ungewissheit? Die Arbeitgeberhaltungen zum mitbestimmten Aufsichtsrat. In: Industrielle Beziehungen, 19, 3, 314 – 336).
Es gibt ja im übrigen zur Montanmitbestimmung ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts v. 2.3. 1999, welches lediglich ein Anwendungskriterium im Ergänzungsgesetz aufhob. Kein Wort zur Verfassungsfrage im allgemeinen; immerhin hat noch keiner ein obiter dictum hineingelesen. 25 Jahre nach dem Urteil gab der Senatsvorsitzende von damals auch ein sehr lesenswertes Interview dazu http://www.boeckler.de/19801_19805.htm im Magazin Mitbestimmung.
Auf einem Symposium zu 100 Jahre Karl Fitting Ende Oktober 2012 (http://www.boeckler.de/42171_42201.htm) hatten wir auch ehemalige Bundesverfassungsrichter dabei, einer sogar war am 1.3.1979 beteiligt, sie alle sahen das Eigentum anders als noch 1979.
Wenn sie schließlich am Ende bei der rechtspolitischen Diskussion um Mitbestimmung auf den Vorschlag des Arbeitskreises unternehmerische Mitbestimmung aus dem Jahre 2001 erinnern, so sehe ich nach wie vor keine guten Gründe für eine Verhandlungslösung in Deutschland isoliert. Wer eine SE gründen will, kann dies ja tun. Leider gibt es dabei wenige Fälle, die nicht so ganz de lege artis laufe(vgl. nur Köstler/Pütz AG Report Juni 2013 http://www.boeckler.de/impuls_2013_12_7.pdf • PDF Datei)
Oder auch eine grenzüberschreitende Verschmelzung durchführen, auch da sprechen die zahlen ein anderes Bild als die Reklame- Aufsätze vieler Rechtsanwälte.
Ich habe bei verschiedensten Gelegenheiten Baums und Henssler z.B. vorgehalte, dass sie mit ihrem Vorschlag die deutsche Mitbestimmung abschaffen und vor allen Dingen den Einfluss der Gewerkschaften verringern wollten. darüber allerdings kann man mit mir nicht diskutieren.
Ist etwas länger geworden, war aber auch nötig.
Beste Grüße
Dr. Roland Köstler
Die drängendere Frage dürfte lauten, ob das gegenwärtige Modell überhaupt europarechtskonform ist. Das schlecht begründete Urteil des LG Landau (ZIP 2013, 2107) dürfte in dieser Sache nicht das letzte Wort darstellen.
Lieber Herr Drygala,
wenn ein Gericht sich auf den Aufsatz von Krause (dort mehrfach zitiert)stützt,kann es nicht schlecht begründet sein.Die Frage ist
a) ob Sie Krause gelesen haben und
b) ob hier das Statusverfahren überhaupt die richtige Verfahrensart war, m.E.Nein (s. § 98 Abs. 1 AktG)
Zum Nachlesen:
Krause AG 2012, 485
Wansleben, Zur Europarechtswidrigkeit der unternehmerischen Mitbestimmung, NZG 2014, 213 (zugleich Besprechung von LG Landau v. 18.9.2013).