„Bei einem Widerruf der Zulassung der Aktie zum Handel im regulierten Markt auf Veranlassung der Gesellschaft haben die Aktionäre keinen Anspruch auf eine Barabfindung. Es bedarf weder eines Beschlusses der Hauptversammlung noch eines Pflichtangebotes (Aufgabe von BGH, Urteil vom 25. November 2002 — II ZR 133/01, BGHZ 153, 47, 53 ff.)” – Leitsatz des heute veröffentlichten Beschlusses.
Es ist sehr selten, dass nach ca. 10 Jahren eine Rechtsprechung, die sogar in die amtliche Sammlung einging, aufgegeben wird. Für einen knappen Überblick s. die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 185/2013 v. 12.11.2013:
Der für Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass den Aktionären beim Rückzug von der Börse kein Barabfindungsangebot für ihre Aktien gemacht werden muss.
Mit einer Ad-hoc-Meldung vom 11. Februar 2011 gab die Antragsgegnerin, eine Aktiengesellschaft, den vom Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats beschlossenen Wechsel vom regulierten Markt der Wertpapierbörse in Berlin in den Entry Standard des Freiverkehrs (Open Market) der Frankfurter Wertpapierbörse bekannt. Am 16. Februar 2011 wurde der Widerruf der Zulassung am regulierten Markt wirksam; seither sind die Aktien der Antragsgegnerin in den Entry Standard einbezogen.
Die Antragsteller, Aktionäre der Antragsgegnerin, haben die Durchführung eines Spruchverfahrens zur Festsetzung einer angemessenen Barabfindung für die Aktien der Antragsgegnerin beantragt. Das Landgericht hat den Antrag als unzulässig zurückgewiesen. Die Beschwerde der Antragsteller vor dem Oberlandesgericht hatte keinen Erfolg. Im Fall eines Wechsels vom regulierten Markt in den qualifizierten Freihandel bedürfe es keines Barabfindungsangebots, so dass auch kein Spruchverfahren stattfinde.
Der Bundesgerichtshof hat die Rechtsbeschwerden der Antragsteller zurückgewiesen. In einer Entscheidung im Jahr 2002 war er davon ausgegangen, dass der Widerruf der Zulassung zum Handel der Aktie im geregelten Markt einer Börse auf Antrag des Emittenten, das sogenannte reguläre Delisting, wegen der damit verbundenen erheblichen Beeinträchtigung der Verkehrsfähigkeit der Aktien das Aktieneigentum beeinträchtige und eines Beschlusses der Hauptversammlung sowie eines Pflichtangebotes der Aktiengesellschaft oder des Großaktionärs über den Kauf der Aktien der Minderheitsaktionäre bedürfe (BGH, Urteil vom 25. November 2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153, 47, 53 ff.).
Das Bundesverfassungsgericht hat am 11. Juli 2012 entschieden, dass der Widerruf der Börsenzulassung für den regulierten Markt grundsätzlich nicht den Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts des Aktionärs berührt und das für den Fall eines vollständigen Rückzugs von der Börse von den Fachgerichten im Wege einer Gesamtanalogie verlangte, gerichtlich überprüfbare Pflichtangebot der Gesellschaft oder ihres Hauptaktionärs an die übrigen Aktionäre, deren Aktien zu erwerben, daher von Verfassungs wegen zwar nicht geboten ist, die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung aber auch nicht überschreitet. Es hat es der weiteren Rechtsprechung der Fachgerichte überlassen, auf der Grundlage der mittlerweile gegebenen Verhältnisse im Aktienhandel zu prüfen, ob die bisherige Spruchpraxis Bestand hat, und zu beurteilen, wie der Wechsel vom regulierten Markt in den qualifizierten Freiverkehr in diesem Zusammenhang zu bewerten ist (BVerfG, Urteil vom 11. Juli 2002 — 1 BvR 3142/07, 1 BvR 1569/08).
Der Bundesgerichtshof hat seine Rechtsprechung, dass das reguläre Delisting eines Beschlusses der Hauptversammlung und eines Pflichtangebots über den Kauf der Aktien bedarf, aufgrund der danach gebotenen Überprüfung aufgegeben.
Beschluss vom 8. Oktober 2013 – II ZB 26/12
„Es ist sehr selten, dass nach ca. 10 Jahren eine Rechtsprechung, die sogar in die amtliche Sammlung einging, aufgegeben wird.”
Ich mag derart unschuldige Kommentare, wenn sie aus dem Mund ordentlicher Hochschulprofessoren kommen (es gibt ja mittlerweile mehr unordentliche Doktoren und Professoren als solche).
Ich bin gespannt, wie die Rechtsprechung mit den laufenden Spruchverfahren in Sachen Delisting umgeht.
Aber so selten ist das natürlich auch nicht. Klauseln in Mietverträgen, die viele Jahre unbeanstandet blieben, werden mit einem Federstrich beseitigt. Das gleiche bei Eheverträgen. Anderen Kollegen fallen bestimmt noch weitere Fälle ein. Vertrauensschutz?