Im Urteil v. 21.6.2010 (II ZR 24/09) befasst sich der BGH mit dem Bericht des Aufsichtsrats über seine Prüfung des Jahresabschlusses (§ 171 Abs. 2 S. 1 AktG). Der Senat verlangt, dass dieser schriftliche Bericht „vom Aufsichtsrat durch förmlichen Beschluss festgestellt und dessen Urschrift zumindest durch den Aufsichtsratsvorsitzenden unterschrieben werden muss.” Geschehe dies nicht, so seien sowohl die Entlastungsbeschlüsse für Aufsichtsrat und Vorstand als auch die Beschlüsse zur Wiederwahl desselben Aufsichtsrats anfechtbar. Der Verfahrensmangel sei nach dem Maßstab eines objektiv urteilenden Aktionärs relevant für die Ausübung der Mitgliedschafts- bzw. Mitwirkungsrechte.
Doch was ist ein „objektiv urteilender Aktionär” (der auch in § 243 Abs. 4 S. 1 AktG auftaucht)? Müsste man nicht eher die subjektive Seite betonen, also auf den wohlgesonnenen, loyalen Aktionär abstellen? Dieser freut sich nicht diebisch (!), wenn er einen Fehler entdeckt, sondern er wird auf dessen Beseitigung hinwirken oder auch lässliche Sünden ignorieren. Davon abgesehen ist die neue Entscheidung ein Beispiel für die hier schon gerügte „es ist nicht auszuschließen”-Doktrin, die der BGH neuerdings vertritt.
„(29) Der Relevanz der fehlenden Feststellung des Berichts durch einen förmlichen Aufsichtsratsbeschluss steht nicht entgegen, dass der Aufsichtsratsvorsitzende … in Anwesenheit der weiteren Aufsichtsräte mündlich erklärt hat, er stehe hinter dem schriftlichen Bericht des Aufsichtsrates. Abgesehen davon, dass damit eine Äußerung allein des Vorsitzenden des Aufsichtsrats und nicht des Gremiums insgesamt vorliegt, konnten allein die erschienenen Aktionäre durch diese Äußerung erreicht werden. Dies ist nicht ausreichend, um eine Anfechtbarkeit auszuschließen. Durch die Anordnung des § 175 Abs. 2 AktG, wonach der Bericht des Aufsichtsrats von der Einberufung an in den Geschäftsräumen der Gesellschaft auszulegen ist, soll der Aktionär frühzeitig vor der Hauptversammlung in die Lage versetzt werden, auf der Grundlage des schriftlichen Berichts zu entscheiden, an der Hauptversammlung teilzunehmen, ihr fernzubleiben oder aber einen Vertreter zu entsenden und diesen ggf. auf der Grundlage des Berichts zu instruieren. Auch die nicht in Person erschienenen Aktionäre haben damit Anspruch auf eine zutreffende Unterrichtung (Nachw.). Dies gilt nicht nur für im Bericht mitgeteilte Informationen, sondern auch für die hier maßgebende Frage, ob der Bericht als solcher vom zuständigen Organ durch förmlichen Beschluss festgestellt und durch seinen Vorsitzenden unterschrieben wurde und damit als Bericht dieses Organs gelten kann.”
Wurde der Bericht im Original („Urschrift”) überhaupt von irgendjemand eingesehen? Was änderte sich für den nicht erschienenen Aktionär, wenn der Bericht vom Vorsitzenden unterschrieben worden wäre? Wäre er dann möglicherweise auf der HV erschienen? Und wäre dann möglicherweise ein anderer Beschluss (Nichtentlastung, Nicht-Wiederwahl) gefasst worden? Nun, alles kann passieren – und manche Physiker postulieren daher, dass es viele Welten gibt …
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