Wie man hört, wollen einige große DAX-Gesellschaften in diesem Jahr auf das Angebot verzichten, dass der gesellschaftsbenannte Vertreter mittels eines Internetformulars bevollmächtigt werden kann. Diese einfache Art der Vollmachterteilung für die Ausübung des Stimmrechts wird seit über 5 Jahren praktiziert und findet immer mehr Anklang. Warum jetzt die Kehrtwende bei manchen Gesellschaften? Immerhin kommen sie in Erklärungsnot (§ 161 AktG), wenn man Nr. 2.3.3 Corporate Governance Kodex entsprechend der bisherigen Praxis einer Internetbevollmächtigung versteht. Es müssen schon gravierende Gründe sein.
Es sind keine gravierenden Gründe, sondern die Angst vor der „Anfechtung”. Wie ein Reh bei einem Knacken im Unterholz die Flucht ergreift … . Was hat geknackt? Es ist ein Urteil des OLG München (v. 26.3.2008, 7 U 4782/07) zur Auslegung von § 123 II 3 AktG. Der OLG-Senat verlangt, dass die Satzung die (aktionärsfreundliche) Fristverkürzung selbst regelt und dies nicht dem Vorstand überlässt. Daraus macht das OLG zu Unrecht einen Anfechtungsgrund (abl. Hellerhof NZG 2008, 561, 563). Dieses vereinzelte Urteil wird nun von manchen auch auf § 134 III 2 AktG bezogen, wonach die Satzung eine „Erleichterung” gegenüber der Schriftform bestimmen kann. Die meisten Satzungen stellen die Entscheidung, ob und welcher andere Weg als der schriftliche gangbar ist, in die Diskretion des Vorstands. Das ist die Erleichterung, von der das Gesetz und dessen Begründung ausgehen. Eine Fixierung eines bestimmten technischen Verfahrens in der Satzung ist nicht verlangt und wäre auch ganz unpraktikabel. § 134 III 2 AktG erwartet eben nicht eine Festlegung einer Form unterhalb der Schriftform (was immer das sein mag), sondern die Aussage, dass die Schriftform nicht stets gilt. Alles weitere ist eine Frage des Innenverhältnisses zwischen dem Vollmachtgeber (Aktionär) und dem Vollmachtnehmer (gesellschaftsbenannter Vertreter). Daher besteht kein Anlass, von einer bewährten und unangefochtenen (!) Praxis abzukehren.
Leider hat das LG Frankfurt a.M. mit Urteil vom 26. August 2008 die Entscheidung des LG München zu § 123 AktG in einem obiter dictum auf § 134 Abs. 3 Satz 2 AktG übertragen und ausgeführt (DStR 2008, 1886 ff.):
„… Nach dem Wortlaut des § 134 Abs. 3 Satz 2 AktG muss die Satzung selbst Regelungen über die Vollmacht und deren Nachweis erhalten, wenn von den gesetzlichen Bestimmungen abgewichen werden soll. Würde man dies … allein dem Vorstand bei der Bekanntmachung der Bedingungen der Teilnahme- und Stimmrechtsausübung überlassen, wäre dies ein Verstoß gegen § 23 Abs. 5 AktG mit der Folge, dass die in der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse für nichtig zu erklären wären (vgl. zu einem ähnlichen Sachverhalt LG München v. 30.8.2007, SHK O 2797/07 …).“
Vor diesem Hintergrund besteht in der Praxis hinreichend Anlass, sich mit der möglichen Nichtigkeit der Hauptversammlungsbeschlüsse wegen fehlerhafter Einladung auseinander zu setzen. Kaum auszudenken, wenn die (noch nicht 3 Jahre im Handelsregister stehenden) Beschlüsse etlicher Gesellschaften aus den letzten Jahren als nichtig angesehen würden.
Gegen das Urteil des LG Frankfurt wurde Berufung eingelegt (Az.: 5 U 121/08). Die mündliche Verhandlung soll am 5 Mai 2009 stattfinden. Es wäre zu wünschen, dass das OLG Frankfurt bei dieser Gelegenheit auch mit der Aussage zum Delegationsverbot aufräumt.