Verlieren die Instanzgerichte doch die Geduld mit räuberischen Aktionären? Nach den „Zapf”-Urteilen des LG und OLG Frankfurt/Main hat jetzt das LG Hamburg (321 O 430/07 v. 15.6.2009) aus § 826 BGB verurteilt. Was war geschehen? Ein Berufskläger (für Kenner der Szene: mit Zustelladresse in Dubai) hatte mit einem Aktienanteil von 0,0001% eine Anfechtungsklage gegen einen Beschluss der E‑AG über eine Sachkapitalerhöhung erhoben; die Beteiligung war zuvor mit der F‑AG verabredet worden. Sie ist daraufhin gescheitert. Ein Aktionär der F‑AG, der seine Aktien als Sacheinlage hatte einbringen wollen, obsiegt mit seiner Schadensersatzklage über 50 000 €.
Das LG befindet: Es gilt die „Treuepflicht, gesellschaftsrechtliche Mitgliedsrechte (nur) unter Berücksichtigung der Interessen der Mitaktionäre auszuüben (BGHZ 103, 184). Ferner unterliegt auch die Anfechtungsbefugnis ungeachtet ihrer Kontrollfunktion den Schranken des § 242 BGB und dem Verbot des Rechtsmissbrauchs (BGHZ 107, 296). Ein Ausnahmetatbestand der Rechtsmissbräuchlichkeit ist immer dann gegeben, wenn die Gesellschaft durch die Anfechtungsklage eines Aktionärs in grob eigennütziger Weise veranlasst werden soll, eine Leistung zu erbringen, auf die kein Anspruch besteht (BGH NJW 1989, 2689). Sofern der Anfechtende sich nur den „Lästigkeitswert” seiner Klage abkaufen lassen will und das Klagerecht somit in zweckentfremdeter Weise aus sachfremden Gründen zu seinem eigenen Vorteil nutzt, liegt eine unzulässige Zweck-Mittel-Relation vor. In diesem Fall ist es auch unerheblich, ob eine Anfechtungsklage erfolgreich gewesen wäre.
Anhaltspunkte für ein derartiges Verhalten können neben der Bereitwilligkeit zum Abschluss eines Vergleichs auch darin zu sehen sein, dass im Wesentlichen formale Anfechtungsgründe vorgebracht werden, der Anfechtende nur geringen Aktienbesitz hat und eine Reihe gleichartiger Verfahren führt oder geführt hat.”
Diese „Indizien” sind nicht tragfähig:
1) Vergleichsbereitschaft ist gesetzlich gewollt (§ 278 ZPO) und darf daher nicht gegen den Anfechtungskläger verwendet werden
2) Formale Anfechtungsgründe sind entweder Anfechtungsgründe oder sie sind es nicht. Wenn sie es aber sind, darf ihre Geltendmachung nicht gegen den Anfechtungskläger verwendet werden
3) Dass der Anfechtende nur geringen Aktienbesitz hat, spielt ebenfalls keine Rolle, sonst hätte der Gesetzgeber Aktionären mit geringem Anteilsbesitz das Anfechtungsrecht verwehren müssen
4) Es bleibt das Indiz, dass der Aktionär bereits eine Reihe gleichartiger Verfahren führt oder geführt hat, mithin als Berufskläger erkannt ist. Dieses Indiz weist aber nicht in eine eindeutige Richtung: es kann ja auch ein an der Rechtmäßigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen besonders interessierter Aktionär sein, der deshalb dauernd klagt oder klagen muss, weil die Gesellschaften ordnungsgemäße Beschlüsse nicht hinbekommen.
Frage: Wenn es doch letztlich um das Verhindern von Sondervorteilen geht, warum gestaltet man eigentlich die Anfechtungsklage nicht aktionärsklagenähnlich aus? So könnten etwa durch eine Anfechtung eines Einzelnen sämtliche Aktionäre der Gesellschaft Partei des Anfechtungssrechtsstreits werden. Schließlich wirkt das Urteil ja jetzt schon gegen alle gem. § 248 AktG. Dann müsste der Anfechtungskläger einen im Vergleichsweg erzielten wirtschaftlichen Vorteil stets mit allen anderen teilen, ergo verlöre er einen erheblichen Anreiz zur Klageerhebung, ohne dass ihm aber, wenn er denn unbedingt will, die Möglichkeit genommen wird, Aktionärspolizist zu spielen.
1.) „gesetzlich gewollt” — ja, aber nur da, wo jemand ernsthaft einen Anspruch zu haben glaubt. Sonst handelt es sich um einen Missbrauch prozessualer Rechte.
2.) Doch — man darf sie (zumindest praeter legem) schließlich gewichten.
3.) Es spielt deshalb eine Rolle, weil es zeigt, dass keinerlei legitimes wirtschaftliches Interesse hinter der Klage steckt, sondern der pure Versuch, diese als Hebel zur Nötigung zu nutzen. Man betrachte nur die rechtstatsächlichen Baums-Studien.
4.) Schauen Sie sich doch einmal die einschlägigen Berufskläger an! Deren Zahl ist durchaus überschaubar. Da muss man seine Augen schon extrem fest zukneifen, um nicht zu sehen, dass ein kommerziell-gewerbliches Interesse hinter deren Vorgehen steckt statt eines redlichen „an der Rechtmäßigkeit besonders interessiert seins”.
5.) Der Vorschlag scheint mir prima. Mir erschließt sich nicht, warum er bisher offenbar noch nie geäußert wurde. Aber nun darf man erst einmal ein bisschen auf die segensreichen Wirkungen des ARUG hoffen — und vielleicht dann einmal auf eine grundlegende Reform des Beschlussmängelrechts.
Es verwundert schon, mit welcher Leichtigkeit in ein elementares Bürgerrecht eingegriffen wird, nämlich Rechtsschutz vor einem staatlichen Gericht zu suchen, zumal dieses Recht ganz erheblich zur Befriedung einer Gesellschaft beiträgt. Gänzlich unakkzeptabel wird es dann, wenn von Dritten über legitime wirtschaftliche Interessen des Klägers spekuliert wird. Völlig unverständlich wird die Sache schließlich dann, wenn sogar noch auf die Klassifizierung einer Lobbyistenstudie als „Berufskläger” abgestellt wird. Nach der Methodik dieser Studie müsste sogar Herr Kirch dort aufscheinen, was natürlich ‑soweit ich sehe- nicht der Fall ist. Die ernsthaften Argumente hat bereits Prof. Wackerbarth abgearbeitet und entkräftet.
Die Sanktion auch einer offensichtlich unbegründeten Klage besteht darin, dass das Gericht die Klage abweist und der Kläger die Kosten zu tragen hat. Hier ist anzusetzen. Jedermann, und nicht nur durch Lobbyisten unterstützte Unternehmensfürsprecher, hat ein Recht darauf, dieses Urteil innerhalb einer angemessenen Frist zu erhalten. Angemessen heißt in diesem Fall, das die Zeit bis zum Urteil nicht solange dauern darf, dass der jeweiligen Partei das obsiegende Urteil nichts mehr nützt.
Hier versagt der Gesetzgeber und er versucht dieses Versagen im hier behandelten Kontext durch populistische Zugeständnisse zu korrigieren. Wenn beispielsweise, wie allgemein bekannt, eine Kammer für Handelssachen noch nicht einmal geschäftsstellenmäßig so ausgestattet wird, dass die kammer optimal unterstützt wird, ist dieses unverständlich.
Schließlich fehlt mir in der Diskussion die Auseinandersetzung mit Verhalten vieler verklagter Unternehmen. Ich spare mir hier Beispiele für „Durchstechereien” von T‑Online bis MWG. Hierzu gibt es das Schwarzbuch der SdK.
Zu begrüßen ist, dass immer weniger Privatanleger geschädigt werden, weil diese sich vom Kapitalmarkt zurück gezogen haben. Das ARUG ist ein weiterer Schritt, die Rechte der Kleinanleger zu beschränken. Viele „Berufskläger” werden nun den Weg über Strafanzeigen gehen. Daran ist nichts zu verdienen, aber darum geht es nur einer kleinen Minderheit, zumal die Gegenseite ja kostenlos arbeitet.
Man sollte sich noch einmal
Sehr geehrter Herr Jahn,
alles was Sie tun, ist, von Ihrem eigenen Vorverständnis auf den konkreten Einzelfall zu schließen. Niemand zweifelt daran, dass das Anfechtungsrecht missbraucht werden kann und dass manche (von mir aus auch viele) Berufskläger dies auch tun. Aber hier geht es doch gerade darum herauszufinden, ob ein Mißbrauch im Einzelfall vorliegt oder nicht. Ihre Gegenargumente sind keine, denn Sie setzen stets den „bösen Berufskläger” voraus.
Davor, aus nicht tragfähigen Indizien auf die böse Gesinnung eines Klägers zu schließen, kann man nur nachdrücklich warnen: Zur Lektüre sei Ihnen deshalb „Hokuspokus” von Curt Goetz empfohlen.
Mit freundlichen Grüßen
Ulrich Wackerbarth