Kammergericht legt Frage zur Mitbestimmung dem EuGH vor

lst es mit Arti­kel 18 AEUV (Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot) und Arti­kel 45 AEUV (Frei­zü­gig­keit der Arbeit­neh­mer) ver­ein­bar, dass ein Mit­glied­staat das aktive und pas­sive Wahl­recht für die Ver­tre­ter der Arbeit­neh­mer in das Auf­sichts­or­gan eines Unter­neh­mens nur sol­chen Arbeit­neh­mern ein­ge­räumt, die in Betrie­ben des Unter­neh­mens oder in Kon­zern­un­ter­neh­men im lnland beschäf­tigt sind?”

So lau­tet die Frage des Kam­mer­ge­richts Ber­lin (14 W 89/15, Beschl. v. 16.10.2015) an den EuGH. Jetzt kommt es zum Schwur, nach­dem ver­schie­dene Instanz­ge­richte unter­schied­lich urteil­ten (s. Nr. 7 und 8). Der Senat hält es für vor­stell­bar, dass Arbeit­neh­mer durch die deut­schen Mit­be­stim­mungs­re­ge­lun­gen aus Grün­den der Staats­an­ge­hö­rig­keit dis­kri­mi­niert wer­den. lm Gegen­satz zu den in Deutsch­land beschäf­tig­ten Arbeit­neh­mern kön­nen die in einem Mit­glied­staat beschäf­tig­ten Arbeit­neh­mer, die in der Regel keine Deut­schen sein wer­den, das Auf­sichts­or­gan der Antrags­geg­ne­rin nicht wäh­len und in die­ses nicht gewählt wer­den und sind mit­hin in ihrem Auf­sichts­or­gan nicht aus­rei­chend reprä­sen­tiert. … Der Senat sieht es fer­ner als jeden­falls vor­stell­bar an, dass die Frei­zü­gig­keit der Arbeit­neh­mer durch die deut­schen Mit­be­stim­mungs­re­ge­lun­gen ver­letzt ist. Die der­zei­ti­gen deut­schen Rege­lun­gen sind gege­be­nen­falls geeig­net, Arbeit­neh­mer wegen des dro­hen­den Ver­lusts ihrer Mit­glied­schaft in einem Auf­sichts­or­gan davon abzu­hal­ten, sich um tat­säch­lich ange­bo­tene Stel­len zu bewer­ben und sich zu die­sem Zweck im Hoheits­ge­biet der Mit­glied­staa­ten frei zu bewe­gen.” (Nr. 13).

Dass eine uni­ons­rechts­kon­forme Aus­le­gung des Mit­bestG nicht mög­lich sei (Nr. 14) ist nicht recht ein­sich­tig. Denn der Wort­laut des Geset­zes ist offen. Der Aus­schluss der Arbeit­neh­mer im Aus­land folge nicht aus dem Wort­laut des Mit­bestG” refe­riert der Senat (Nr. 2). Sic! Das dafür beschwo­rene Ter­ri­to­ria­li­täts­prin­zip” kann man über­win­den, es ist eine Dok­trin, kein Gesetz. Und die Ent­ste­hungs­ge­schichte, fest­ge­macht an einer Notiz des sei­ner­zeit bera­ten­den Par­la­ments­aus­schus­ses, ist nach 40 Jah­ren kein Hin­der­nis für eine andere Aus­le­gung. Zuzu­ge­ben ist aller­dings, dass das kom­pli­zierte Wahl­ver­fah­ren für die Arbeit­neh­mer­seite den Betrie­ben im Aus­land nicht ein­fach oktroy­iert wer­den kann.

4 Kommentare

  1. Das Ter­ri­to­ria­li­täts­prin­zip mag eine über­wind­bare” Dok­trin sein. Wenn wir aber anfan­gen, ande­ren Län­dern unser Recht auf­zu­zwin­gen, dür­fen wir uns nicht wun­dern, wenn die ande­ren dann das Glei­che tun. Ich halte das T‑Prinzip für ein höchst sinn­vol­les, weil frie­dens­si­chern­des Prin­zip: Wenn die übri­gen EU-Län­der nicht wol­len, dass die Aus­übung von Lei­tungs­macht in dort sit­zen­den Toch­ter­ge­sell­schaf­ten durch dt. Mit­be­stim­mung­recht kon­trol­liert wird, soll­ten wir nicht ver­su­chen, ihnen unsere Vor­stel­lun­gen aufzudrücken.

    Und im Ernst: Die Über­le­gung, die Frei­zü­gig­keit dt. Arbeit­neh­mer werde durch die natio­nale Begrenzt­heit des Mit­be­stim­mung­rechts behin­dert (weil man bei Annahme einer Stelle im Aus­land den Auf­sichts­rats­pos­ten ver­liert), ist so absurd wie absei­tig. Sie betrifft zunächst nur einen ver­schwin­dend klei­nen Bruch­teil aller Arbeit­neh­mer (Auf­sichts­rats­mit­glie­der). Zudem macht nie­mand seine Arbeits­platz­wahl davon abhän­gig, ob er oder sie spä­ter mög­li­cher­weise erneut in einen mit­be­stimm­ten Auf­sichts­rat gewählt wer­den kann, von dem es ja selbst in Deutsch­land kaum wel­che gibt. Das kann kein Argu­ment für eine der­art weit­ge­hende Ver­än­de­rung wie die Mit­zäh­lung aller Aus­lands­be­schäf­tig­ten sein.

  2. Ihre anre­gen­den Gedan­ken habe ich mit gro­ßem Inter­esse gele­sen, vie­len Dank dafür.

    Eine uni­ons­rechts­kon­forme Aus­le­gung des Mit­bestG scheint mir sowohl an uni­ons- als auch an ver­fas­sungs­recht­li­chen Gren­zen zu schei­tern. Uni­ons­recht­lich des­we­gen, weil das Pri­mär­recht ver­langt, dass im Aus­land tätige Arbeit­neh­mer den im Inland täti­gen Arbeit­neh­mern gleich­ge­stellt wer­den. Das lässt sich aber mit dem gel­ten­den Recht m.E. nicht errei­chen: Durch die Anknüp­fung an das BetrVG ist eine im Aus­land durch­zu­füh­rende Wahl, die zwin­gen­des Ergeb­nis einer uni­ons­rechts­kon­for­men Aus­le­gung wäre, nicht durch­setz­bar. Würde man eine uni­ons­rechts­kon­forme Aus­le­gung vor­neh­men, die im Wort­laut des Mit­bestG keine Stütze fin­det, würde dies in mei­nen Augen zudem das der Judi­ka­tive ein­ge­räumte ver­fas­sungs­recht­li­che Ermes­sen überschreiten.

    Hin­sicht­lich des Ter­ri­to­ria­li­täts­prin­zips“ ist m.E. zu unter­schei­den. Eine Ein­be­zie­hung im Aus­land täti­ger Arbeit­neh­mer über das Betriebs­ver­fas­sungs­recht (so wie es der­zeit für das Inland gere­gelt ist) wäre unzu­läs­sig. De lege lata muss daher auch aus die­sem Grund eine uni­ons­rechts­kon­forme Aus­le­gung schei­tern. De lege ferenda sieht die Sache aber gänz­lich anders aus. Das Mit­bestG ließe sich für Inlän­der und Aus­län­der in glei­cher Weise und ohne Ver­stoß gegen das Ter­ri­to­ria­li­täts­prin­zip“ neu regeln. Vor­schläge dafür exis­tie­ren (etwa Ori­en­tie­rung am SE-Modell). All dies hätte m.E. auch nichts damit zu tun, ande­ren Mit­glied­staa­ten deut­sches Recht auf­zu­zwin­gen“, da deren Rechts­ord­nun­gen gar nicht berührt sind. Denn es geht ja nicht um die Organe der aus­län­di­schen Toch­ter­ge­sell­schaf­ten, son­dern um die Auf­sichts­räte deut­scher Gesell­schaf­ten. Inso­fern kann ich lei­der nicht nach­voll­zie­hen, was Herr Pro­fes­sor Wacker­b­arth meint, wenn er Aus­übung von Lei­tungs­macht in dort sit­zenden Toch­ter­ge­sell­schaften durch dt. Mit­be­stim­mung­recht kon­trol­liert“ sieht.

    Uni­ons­recht­lich ist auch ein Ver­stoß gegen die Arbeit­neh­mer­frei­zü­gig­keit weder absurd“ noch absei­tig“. Wie hoch der betrof­fene Anteil („Bruch­teil“) ist, spielt uni­ons­recht­lich keine Rolle. Nach dem EuGH setzt eine Beschrän­kung der Frei­zü­gig­keit (ledig­lich) vor­aus, dass eine natio­nale Rege­lung geeig­net“ ist, die Aus­übung der Frei­zü­gig­keit unat­trak­ti­ver“ zu machen. Und das wird man aus mei­ner Sicht doch wohl nicht leug­nen können.

  3. Ich bedanke mich auch bei Herrn Wacker­b­arth. Nur eins zu Her­ren Wansleben:Er über­sieht bei sei­nem Vor­schlag sich an die SE anzu­leh­nen, dass diese auf euro­päi­schen Rechts­ak­ten beruht. Die Betei­li­gung der aus­län­di­schen Arbeit­neh­mer ent­spre­chend die­sem Modell wäre ohne Ein­griff in die ande­ren Rechts­ord­nun­gen nicht mög­lich. Auf wel­cher Rechts­grund­lage soll­ten um nur ein klei­nes prak­ti­sches Pro­blem” zu nen­nen die ande­ren Arbeit­neh­mer zu Ver­hand­lun­gen nach Deutsch­land frei­ge­stellt und mit wel­cher natio­na­len Legi­ti­ma­tion ver­han­deln und abschlie­ßen kön­nen. Das SEBG hin­ge­gen beruht auf einer euro­päi­schen Richtlinie.

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