Gastbeitrag von RA Dr. Dieter Leuering
Professor Dr. Uwe Hüffer, em. Professor der Ruhruniversität Bochum und jetzt Rechtsanwalt in der Traditionskanzlei Schilling, Zutt und Anschütz in Mannheim, sprach auf der 13. Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung am 12. November 2010 über die „Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen wegen Abweichung von der Entsprechenserklärung”, wobei er dieser Überschrift seines Themas bereits ein Fragezeichen hinzufügte.
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Thesen des Vortrags
Die Ergebnisse seines Vortrages hat Hüffer in acht Thesen zusammengefasst.
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Ein Beschluss der Hauptversammlung ist nach § 243 Abs. 1 AktG wegen einer Gesetzesverletzung nur anfechtbar, wenn er seinem Inhalt nach nicht ergehen durfte (Inhaltsfehler) oder in einem fehlerhaften Verfahren zustande gekommen ist und deshalb an einem regelmäßig nach der Relevanztheorie festzustellenden Legitimationsdefizit leidet (Verfahrensfehler).
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Ein von der Entsprechenserklärung abweichender Entlastungsbeschluss (§ 120 AktG) kann unter einem Inhaltsfehler leiden, weil die Entlastung von Organmitgliedern auch die Billigung ihrer Amtsführung enthält und diese nicht zu billigen ist, wenn der Vorstand oder Aufsichtsrat in gravierender Weise gegen ihre aus § 161 AktG folgenden Erklärungspflichten verstoßen.
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Andere Beschlüsse als Entlastungsbeschlüsse, besonders Wahlbeschlüsse, sind nicht wegen eines Inhaltsfehlers anfechtbar, weil sie nicht auf die Billigung der Amtsführung gerichtet sind.
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Entgegen einer im Schrifttum entwickelten und in der Rechtsprechung der Instanzgerichte aufgegriffenen These leiden andere Beschlüsse der Hauptversammlung auch nicht deshalb unter einem Verfahrensfehler, weil der Vorschlagsbeschluss des Aufsichtsrats (§124 Abs. 3 Satz 1 AktG) angeblich nichtig ist.
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Der Beschluss des Aufsichtsrats (Ziffer 4) leidet weder unter einem Inhalts- noch unter einem Verfahrensfehler; die angebliche Nichtigkeit ist deshalb nicht gegeben.
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§ 161 AktG als angeblich verletzte Norm kann überhaupt nicht als Regelung von Aufsichtsratsbeschlüssen verstanden werden.
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Wenn § 161 AktG als Regelung von Aufsichtsratsbeschlüssen verstanden werden könnte, läge jedenfalls kein Inhaltsfehler des Aufsichtsratsbeschlusses vor, weil die Vorschrift dem Aufsichtsrat keine inhaltlichen Vorgaben macht. Der Beschluss ist zwar möglicherweise empfehlungswidrig, die Empfehlung aber keine Rechtsnorm.
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Auch ein potentiell zur Nichtigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses führender Verfahrensfehler liegt nicht vor, weil es sich dabei um einen Fehler des Beschlussverfahrens handeln müsste, das in § 161 AktG nicht geregelt ist.
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Die Anfechtbarkeit eines von der Entsprechenserklärung abweichenden Hauptversammlungsbeschlusses ist auch nicht deshalb geboten, weil sich sonst eine die Kodex-Empfehlungen ins Leere laufen lassende Sanktionslücke ergäbe. Dagegen spricht schon die praktische Akzeptanz, die die Empfehlungen finden.
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Die jedenfalls problematische verfassungsrechtliche Basis der Kodex-Empfehlungen wäre mit der breitflächigen Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen vollends überfordert, weil die Empfehlungen damit auf der Rechtsfolgenseite Gesetzesqualität erhielten, aber weder im formellen noch im materiellen Sinne Gesetz sind.
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Eine an die Empfehlungen des Kodex anknüpfende Erweiterung der Anfechtbarkeit ist das Gegenteil des rechtspolitisch Wünschbaren. Nicht die Erweiterung ist geboten, sondern eine einschränkende Entkoppelung der Nichtigerklärung von der im Anfechtungsurteil auch enthaltenen Rechtswidrigkeitsfeststellung.
S. auch Hüffer „Zur Wahl von Beratern des Großaktionärs in den Aufsichtsrat der Gesellschaft”, ZIP 2010, 1979.
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Diskussion
Der Vortrag von Hüffer wurde von Plenum mit hoher Aufmerksamkeit verfolgt und anschließend rege diskutiert.
E. Vetter (Köln) stellte die Frage, ob vielleicht nicht doch auch die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern im Fall der Abgabe einer unrichtigen Entsprechenserklärung anfechtbar sei. Er begründete seine Überlegung mit einer „Perplexität” von Wahlvorschlag und aufrechterhaltener Entsprechenserklärung. Kersting (Universität Düsseldorf) vermochte diese Perplexität nicht zu erkennen; Hüffer sah dies ebenso.
Bayer (Universität Jena) und C. Schäfer (Universität Mannheim) stimmten den Ergebnissen von Hüffer zu, wonach zwar Entlastungsbeschlüsse, jedoch nicht weitere Beschlüsse im Fall einer unrichtigen Entsprechenserklärung anfechtbar seien. Demgegenüber gab es ein „Lager” von Stimmen, die für ein umfassendes Anfechtungsrecht (also nicht nur beschränkt auf den Entlastungsbeschluss) plädierten. Namentlich Lutter (Universität Bonn) vertrat, dass § 161 AktG eine wahre Erklärung verlange, und wer sich hieran nicht halte, verletze § 161 AktG. Dies sei Basis für eine Beschlussanfechtung; allein die Wesentlichkeit des Rechtsverstoßes könnte eine Beschränkung bringen. Ähnlich argumentierte Herrmann (Universität Erlangen).
Dem hielten Hüffer und auch andere Diskussionsteilnehmer entgegen, dass sie den Verstoß gegen § 161 AktG nicht – wie von einigen unterstellt – sanktionslos stellen wollten. Tödtmann (Bonn) stimmte dem zu und ergänzte: Die Sanktion der Nicht-Entlastung werde von den Mitgliedern der Verwaltung überaus ernst genommen; diese Sanktion sei ausreichend und über den Bilanzeid (§ 289a HGB), der auch die Corporate-Governance-Entsprechens-erklärung umfasse, drohe im Fall der Abgabe einer falschen Entsprechenserklärung Strafbarkeit, sofern jedenfalls dolus eventualis vorliege (§ 331 HGB).
K. Schmidt (Bucerius Law School, Hamburg) führte die Diskussion noch einmal auf die von Hüffer zugrunde gelegte Dogmatik des Anfechtungsrechts zurück. Ihn wundere die These Hüffers, dass dieser von einem Inhaltsfehler ausgehe. Tatsächlich gehe doch Hüffer (wie auch der BGH in seiner Entscheidung „Umschreibestopp”) von einem Informationsfehler aus. Dies sei dann aber ein Verfahrensfehler, womit man sich dann die Frage nach der Relevanz des Verstoßes stellen müsse. Wenn man dies aber so sehe, sei ihm noch nicht ganz klar, wieso diese Informationspflichtsverletzung allein Auswirkung auf den Entlastungsbeschluss haben sollte. Hüffer bezeichnete diesen Einwand als sehr bedenkenswert.
Krieger (Düsseldorf) warf noch einmal die Frage auf, warum Entlastungsbeschlüsse überhaupt anfechtbar sein sollten, wenn die Hauptversammlung sehenden Auges auch den pflichtvergessenen Vorstand entlaste. Hüffer entgegnete dem, dass jedenfalls im Fall des gewichtigen Rechtsverstoßes eine Anfechtung möglich sein müsse.
Einige Diskussionsteilnehmer sprachen auch verfassungsrechtliche Fragen an, wenn auf der Basis von softlaw, was der Kodex nun einmal sei, Hauptversammlungsbeschlüsse angefochten werden könnten. Hommelhoff fehlte die verfassungsrechtliche Legitimation, Raeschke-Kessler (Karlsruhe) stellte die Frage, ob vielleicht § 161 AktG eine ausreichende Legitimation sei. Auch brachte Hommelhoff noch einen weiteren interessanten Aspekt in die Diskussion ein, nämlich die Frage, ob der Aufsichtsrat tatsächlich an seine Erklärung gebunden sei. Er regt an, darüber nachzudenken, dass Konzept des satzungsdurchbrechenden Beschlusses auf die vorliegende Problematik anzuwenden.
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